8 29. Entstehung der völkerrechtlichen Rechtssubjekte. 123
älterer !) und neuerer Zeit?2), Unabhängigkeitserklärungen durch internationale
Akte°), durch gewaltsame Trennung eines Landes von dem bisherigen Zu-
sammenhange mit einem anderen Staatswesen?) durch Auflehnung und Krieg,
sei es daß neue selbständige Staaten geschaffen werden,5) oder eine Trennung
von einem Staate mit gleichzeitiger Inkorporierung in einem anderen erfolgt,
durch Vertrag zwischen mehreren bisher vollkommen unabhängigen Staaten
zum Zwecke der Bildung eines Einheits- oder Bundesstaates, durch Erb-
schaft u. s. w.
II. Vom völkerrechtlichen Standpunkte erscheint die Entstehung eines
Staates lediglich als eine Tatfrage, nicht als eine Rechtsfrage; für die
völkerrechtliche Subjektivität eines staatlichen Gemeinwesens kommt es nur
darauf an, daß es als selbständiger Staat besteht, wobei es gleichgiltig ist
wie er entstanden oder zu seiner selbständigen Stellung gelangt ist. Kein
Staat, der sich als selbständiger Staat hinstellt, erkennt eine Autorität über
sich an, welche über die Rechtlichkeit seiner Entstehung oder seiner Trennung
von einem anderen Staate zu urteilen befugt wäre. Jeder Staat hält sich
und erklärt sich immer selbst als existenzberechtigt und gibt sich das Gesetz
seines Daseins, d. h. er betrachtet seine politische Existenzbefugnis lediglich
als einen Ausfluß seines Bestehens — als eine Machtfrage.%) Um deswillen
ist die Forderung der legitimen Entstehung eines Staates als Voraussetzung
unabhängiger Stellung im Verkehr mit anderen Staaten nicht zutreffend.
1) Einwanderung von Volksstämmen in staatenloses Gebiet; Aussendung von Kolonisten
in staatenlose Gebiete, denen seitens des Mutterstaates politische Selbständigkeit von vorn-
herein zugesichert ist.
2) Die Gründung des Staates Liberia durch die amerikanische Kolonisationsgesellschaft
(1821); 1847 nahm dieses Gemeinwesen den Titel „Republik Liberia“ an (Stockwell, The
Republic of Liberia 1868). Die Gründung des Transvaalstaates durch holländische Emigranten
(die Boers) 1837. Die bemerkeuswerteste Staatengründung der Neuzeit ist der Kongostaat,
der durch die Berliner Konferenz am 23. Februar 1855 förmlich anerkannt wurde, nachden
schon vorher das von der internationalen Kongo-Assoziation gegründete Gemeinwesen von
einzelnen europäischen Staaten als Völkerrechtssubjekt behandelt worden war — so von
Deutschland in dem Vertrage vom 8. November 1854. Vgl. Moynier, La fondation de l’Etat
indepedant du Congo etc. (1889); Arendt, Les origines de l’Etat independant du Congo
(1559); vgl. insbes. v. Martitz, A. f. öff.R.I 3ff.; Descamrs, L’Afrique nouvelle 11903).
3) So erlangten die Niederlande und die Schweiz im Westphälischen Frieden volle Selbst-
ständigkeit.
4) Die Trennung Belgiens von Holland 1831.
3) Griechenland, Rumänien und Serbien.
6) Etwas anderes als die völkerrechtliche Frage ist die staatsrechtliche. Nach
Staatsrecht ist der Versuch der Trennung einer Provinz vom Hauptstaate als Rebellion zu
betrachten; allein die staatsrechtliche Frage kommt nicht mehr in Betracht, wenn die Tat-
sache der Trennung vollendet ist, denn nun wird diese eine selbständige neue Grundlage
völkerrechtlicher Bezichungen. Man hat gewöhnlich den völkerrechtlichen Standpunkt, wo-
nach die Trennung einer Provinz als Unrecht behandelt werden muß, als eine monarchisch-
dynastische Theorie bezeichnet und daher oft vom demokratischen Standpunkte angefochten.
Allein im nordamerikanischen Sezessionskriege hat die Unionsregierung genau denselben
Grundsatz gegen die Sezessionisten aufgestellt. Der Zentralregierung ist es auch gelungen,
den staatsrechtlichen Standpunkt zu beliaupten.