$ 30. Anerkennung neuer Staaten. 125
der Auflösung von Staaten, die bisher selbständige völkerrechtliche
Rechtssubjekte waren, bedeutsame Änderungen der staatsrechtlichen
Stellung des Staatsoberhauptes, an welche neue, insbesondere erhöhte,
Ansprüche des betreffenden Staates im Staatenverkehr geknüpft werden, sind
durchweg Tatsachen, welche die Interessen der im völkerrechtlich geordneten
Verkehr stehenden Staaten berühren. Gegenüber derlei Neubildungen und
Umwälzungen innerhalb der Staatenfamilie liegt der Gedanke nahe, das
politische Interesse der Staaten durch eine Einrichtung zu schützen, welche
ihnen die Möglichkeit bietet, ihren rechtlichen und politischen Standpunkt
gegenüber den hier in Frage stehenden Veränderungen zu wahren. Diese
Finrichtung ist die Anerkennung neu entstandener Staaten bezw. be-
treffender Veränderungen in der Organisation der höchsten Gewalt im Staate,
an welche völkerrechtliche Wirkungen geknüpft werden wollen. Die Aner-
kennung hat aber nicht die Bedeutung einer Voraussetzung der Entstehung
eines neuen völkerrechtlichen Subjekts !); die Existenz des völkerrechtlichen
Subjekts ist vielmehr mit der Tatsache des Hervortretens eines staatlich organi-
ganisierten Gemeinwesens gegeben, welches im Verkehr mit anderen Staaten
einen rechtlich maßgebenden Willen zu bekunden vermag und seinerseits die
Grundlagen eines rechtlich geordneten Verkehrs mit anderen Staaten anzu-
erkennen bereit ist. Das Hervortreten eines neuen Subjekts im heutigen
Geltungsgebiete des Völkerrechts bedeutet allemal eine Erweiterung der inter-
nationalen Gemeinschaft, die sich von selbst vollzieht. Der Mangel korpo-
rativer Organisation der internationalen Gemeinschaft schließt die Notwendig-
keit einer förmlichen Aufnahme neuer Mitglieder in die Gemeinschaft aus.
Auf dem weiten Gebiete internationaler Interessengemeinschaft tritt jedes —
wie immer entstandene — staatliche Gemeinwesen als Träger internationaler
Interessen in den internationalen Verkehr und beansprucht um deswillen die
Anerkennung als gleichberechtigtes Subjekt.2) Jeder Staat kann von anderen
die Anerkennung seiner völkerrechtlichen Persönlichkeit verlangen, und zwar
umsomehr, weil die Persönlichkeit an sich eine Tatsache ist, d.h. ein Besitz-
stand der völkerrechtlichen Freiheit und Selbständigkeit, der durch bloßes
Negieren und durch Bestreiten vom staatsrechtlichen Standpunkt aus nicht
aufgehoben werden kann. Die praktische Betätigung des Willens des
neuen Staates gegenüber anderen Staaten im Wege der Anknüpfung recht-
subjektiven öffentlichen Rechte, S. 302ff.; Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, S. 109;
v. MNartitz, A.f.ö.R.I, 3ff.; Heilborn RG llI, 179sq.; Nys, Les pr@tendues conditions
mises & la reconnaissance etc. R V, 292sq.; Le Normand, La reconnaissance intern. (1699):
Spence, On the recognition of the Southern Confederation (1862); Gibbs, Recognition
(1563); Lorimer, La doctrine de la reconnaissance etc. R XVI, 333sq.; Bonfils, Nr. 195sq.;
Hall, 88 2. 26; Phillimore, 11, $$ Tisq.; Oppenheim, I, $8$ 7Tisq.
1) Gareis $ 16: „Die Anerkennung, Anerkennungserklärung ist nicht konstitutiven,
sondern nur deklaratorischen Charakters.“ Ebenso u. a. Hall $$ 2. 26; Rivier, Prineipies
I, 57.
2) Anderer Meinung u. a. F. v. Martens ], 270; v. Liszt a.a.O.; Bonfils No. 203
neuestens Oppenheim I. c.: „A State is and becomes an International Person through
recognition only and exclusively.*