Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 30. Anerkennung neuer Staaten. 127 
nationalen Vorgange, der zur Bildung eines neuen Staates führt, mit gewissen 
politischen Maximen (z. B. der Legitimität) können nur auf den Zeitpunkt 
der Anerkennung einen Einfluß üben — dem fait accompli gegenüber kann 
sie schließlich nicht ausbleiben, namentlich wenn eine Reihe anderer Staaten 
mit der Anerkennung bereits vorangegangen sind. Politisch unbedenklich 
wird die Anerkennung sein, wenn der Hauptstaat selbst die staatliche Selb- 
ständigkeit der getrennten Provinz oder die mit der Trennung einer Provinz 
verknüpfte Neubildung eines Staates!) anerkannt hat. Diese Anerkennung 
(die übrigens oft erst nach einem längeren Zeitraum einzutreten pflegt) 2) ist 
für den neuen Staat als Verzicht auf die Wiederherstellung des früheren Zustan- 
des von größter Wichtigkeit. Hängt die Neubildung eines Staates mit der 
vertragsmäßigen Ordnung einer internationalen Angelegenheit zusammen, bei 
welcher nicht bloß die Streitteile, sondern auch die führenden Mächte beteiligt 
sind, so gewinnt die Anerkennung eine besondere Autorität von Völkerrechts- 
wegen.?) Ein Gleiches ist der Fall, wenn Gründung und Anerkennung in 
einem internationalen Akte zusammentreffen. ?). 
III. Mit der Souveränetät des Staates ist das Recht gegeben, die Ver- 
fassung nach den eigenen politischen Bedürfnissen zu gestalten. Staats- 
rechtliche Veränderungen in der Organisation der öffentlichen 
Gewalten, insbesondere Änderungen in der Staatsform haben zwar 
keinen Einfluß auf die Frage, ob ein als Völkerrechtssubjekt anerkannter 
Staat in dieser Eigenschaft noch fortbesteht.°) Immerhin kann jedoch eine 
derartige Änderung der internen Verhältnisse eines Staates auf den Verkehr 
mit anderen Staaten einen Einfluß üben, insofern analoge politische Er- 
wägungen, wie gegenüber einer staatlichen Neubildung das Verhalten der 
Staaten gegenüber einer neuen Regierung bezüglich der Frage bestimmen 
können, ob der Verkehr mit ihr fortzusetzen oder abzubrechen sei. Nicht- 
anerkennung der hier in Frage stehenden Neugestaltungen kann zu Retor- 
sionen, eventuell zu Kontroversen führen, aus denen kriegerische Verwick- 
lungen hervorgehen. ®) Schwierigkeiten in internationaler Beziehung können 
  
1) Z. B. die Anerkennung des Königreichs Italien durch Oesterreich. 
2) So ist die Unabhängigkeit der Schweiz vom Deutschen Reiche; der Niederlande vom 
Reiche und von Spanien erst im Westphälischen Frieden 1648, die Unabhängigkeit Belgiens 
von den Niederlanden erst 1839, die im Jahre 1776 von den Staaten der nordamerikanischen 
Union erklärte (von Frankreich schon 1778 anerkannte) Selbständigkeit von England im Jahre 
1783, die Unabhängigkeit Griechenlands (1830) von der Türkei im Jahre 1832 anerkannt worden. 
8) Hierher gehört die Ordnung der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel durch die 
Mächte im Berliner Vertrag 1878 Art. 26, 27, 34, 35, 43, 44. 
4) So die Gründung resp. Anerkennung des Kongostaates in der Kongo-Akte 1855. — 
Im allgemeinen siehe die Angaben über die Anerkennung betreffender Staaten bei Calvo 
in dessen Verzeichnis der Staaten I 88 4 ff. 
5) Vgl. die Erklärung der fünf Großmächte im Londoner Protokoll vom 19. Februar 1531 
(Unabhängigkeitserklärung Belgiens — bei Martens, Nouveau Recueil XI 209 sq) und die 
aus der Fortdauer des Völkerrechtssubjekts gezogenen Konsequenzen für die, trotz der Um- 
gestaltung der inneren Verhältnisse, fortdauernde Rechtsbeständigkeit der vertragsmäßigen 
Verpflichtungen. 
6) Despagnet, Cours p 90 macht auf die Nichtanerkennung Cromwell’s seitens Frank- 
reichs und Spaniens aufmerksam, die schließlich zum Kriege führte.
	        
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