128 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. $ 30.
insbesondere dann hervortreten, wenn die Veränderung mit einer revolu-
tionären Bewegung verknüpft ist und die legitime Regierung noch immer
über Machtmittel verfügt, um sich gegenüber der neu gebildeten Regierung
zu behaupten.!)
IV. Der Wille, einen Staat als Völkerrechtssubjekt anzuerkennen, wird
zumeist in konkludenten Handlungen bekundet: durch tatsächliche Anknüpfung
des Verkehrs mit dem neuen Staat bezw. der neuen Regierung (durch Ab-
schließung von Verträgen, Absendung und Empfang von diplomatischen
Agenten u. s. w.) Die Anerkennung kann aber auch in einem selbständigen
(zuweilen solennen) Akte ausdrücklich erklärt werden. — Die Erklärung des
Anerkennungswillens kann nur von den verfassungsmäßigen Hauptorganen
des Staates ausgehen — vorausgesetzt, daß die Anerkennung von einem selbst
schon anerkannten Staate ausgeht.2) Wegen der Bedeutung der Anerkennung
für die Untertanen und Gerichte des anerkennenden und anerkannten Staates
kann der Zeitpunkt der erfolgten Anerkennung für betreffende Rechtsverhält-
nisse und das Vorgehen der Gerichte wichtig werden.
V. Unabhängigkeitserklärungen und Anerkennungen durch Kollektiv-
akte der Mächte pflegen mit Verpflichtungen verknüpft zu werden, welche
dem neuen Staatswesen auferlegt werden. Die Erfüllung dieser Ver-
pflichtungen ist die Bedingung der von den Mächten übernommenen
Garantie und des Schutzes der Unabhängigkeit des neuen Staates.?) So ist
im Berliner Vertrag vom Jahre 1878 den unabhängig erklärten Balkanstaaten
die Verpflichtung auferlegt, in ihrer Gesetgebung einer Reihe von Anforde-
rungen bezüglich der bürgerlichen und religiösen Freiheit zu genügen. Dem
Kongostaate wurde von der Berliner Konferenz (1885) eine Reihe von Pflichten
auferlegt, womit diesem neuen Staatswesen (in bezug auf die Unterdrückung
des Sklavenhandels, die Freiheit des Handels‘) und das damit zusammen-
hängende Fremdenrecht, die Gewissensfreiheit und Freiheit der Kulte, die
Entscheidung von internationalen Streitigkeiten u. s. w.) eine wahrhaft zivili-
satorische Mission übertragen worden ist.5) Eine derart gestaltete Anerken-
nung wird vielfach als bedingte Anerkennung bezeichnet.#) Nicht-
erfüllung der Bedingungen gibt den Signataren betreffender Akte das Recht
zur Intervention.
$ 31. Untergang der Staaten. Physische und rechtliche Verände-
{) Siche über das Verhalten Frankreichs und Englands gegenüber der Partei der Kon-
gressisten und den verfassungsmäßigen Präsidenten Balmaceda in Chile während der Revo-
lution im Jahre 1891 — Despagnet, Cours p. W.
2) Vgl. v. Holtzendorff, HHII S. 29.
3) Vgl. Oppenheim I, $ 73.
4) In der in der Kongoakte normierten Bedeutung.
5) Vgl. v. Martitz, A.f.ö.R. 1], 17ff.
6) So heißt es in Artikel 34 des Berliner Vertrages vom Jahre 1878: „Die hohen
vertragschließenden Teile erkennen die Unabhängigkeit des Fürstentums Serbien
an, indem sie dieselbe an die in dem folgeuden Artikel aufgeführten
Bedingungen knüpft.“ In Wahrheit handelt es sich um Auflagen. Die übliche
Bezeichnung „bedingte Anerkennung“ ist also nicht durchaus zutreffend. Vgl.a. A. Zorn,
Völkerrecht 31.