Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

8 38. Die völkerrechtlichen Personen als Subjekte von Rechten und Pflichten. 145 
  
nahmemaßregeln nach dem Maßstabe staatsrechtlicher Legalität zu prüfen. 
Es sind dies Maßregeln, die augenscheinlich mit der rechtlichen Stellung der 
Fremden nach allgemeinem Völkerrecht bezw. nach Vertragsrecht auf das 
engste zusammenhängen. Es handelt sich also bei diesen und ähnlichen Maß- 
regeln, von denen die Ausländer betroffen werden, in letzter Reihe um die 
Frage, ob die Nichtbeachtung von allgemeinen völkerrechtlichen Normen oder 
die Verletzung von Vertragspflichten aus dem Selbsterhaltungsrecht gerecht- 
fertigt werden könne. !) Die kritische Betrachtung betreffender Fälle verweist 
jedoch auf eine juristische Beurteilung, welche die Rechtfertigung der hier 
in Frage stehenden Maßregeln aus dem Titel eines Selbsterhaltungsrechts ab- 
lehnt. Befindet sich ein Staat in einer Lage, in der die Erhaltung seiner Exi- 
stenz derart in Frage gestellt ist, daß er die Gefahr nur durch Übertretung 
von Normen des Völkerrechts bezw. durch Verletzung von Vertragspflichten 
beseitigen kann, so liegt eben allemal ein Fall des Notstands vor, in welchem 
das Recht die Befolgung seiner Imperative nicht mehr fordern kann; ein Recht 
zur Vornahme betreffender Handlungen wird nicht anerkannt, die Handlungen 
sind rechtswidrig, es zessieren nur die mit solchen Handlungen sönst ver- 
knüpften rechtlichen Folgen. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, 
daß die Selbsterhaltung Aufgabe des Staates ist, aber nicht Recht.2) Um 
diese Aufgabe zu erfüllen, stehen ihm verschiedene Rechte zu, die einen eigenen 
Inhalt aufweisen. Dem Selbsterhaltungsrecht des Staates müßten übrigens 
Pflichten gegenüberstehen; der Inhalt dieser Pflicht könnte aber nur darin 
bestehen, daß sich jeder Staat so verhalten muß, wie es die Selbsterhaltung 
des anderen fordert); die Erfüllung einer solchen Pflicht würde aber not- 
wendig dem Staate die doch sonst anerkannte Freiheit der Betätigung seiner 
eigenen Persönlichkeit und der Ausübung seiner eigenen Rechte tatsächlich 
entziehen. — Was den als Inhalt des sog. Selbsterhaltungsrechts in erster Reihe 
betonten Anspruch auf Nichtverletzung der eigenen Person (und zwar im 
Sinne der Nichtvernichtung der Existenz und Nichtverletzung irgend welches 
Rechts oder Interesses) anlangt, so ist zu bemerken, daß in der internationalen 
Gemeinschaft nach ihrer Grundidee als rechtlicher Gemeinschaft durch deren 
Normen in erster Reihe jenes Interesse Anerkennung und rechtlichen Schutz 
finden muß, dessen Erhaltung überhaupt die Voraussetzung des Eintritts in 
die Gemeinschaft und der Fortdauer dieser Gemeinschaft bildet. Idee und 
praktische Möglichkeit der internationalen Gemeinschaft postulieren eine grund- 
  
1) Heilborn, System S. 289 ff. behandelt die Frage mit Rücksicht auf gegebene Ver- 
tragspflichten in einer Kritik der Verordnung der Regierung von Elsaß-Lothringen vom 
22. Mai 1688 betr. die Einführung des Paßzwanges für alle über die französische Grenze zu- 
reisenden Ausländer, wobei er annimmt, daß die Verordnung mit Art. 11 des Frankfurter 
Friedens, in welchem die Kontrahenten ihren Handelsbeziehungen den Grundsatz der gegen- 
seitigen Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation zu Grunde legen, in Wider- 
spruch stand — eine Annahme, der wir nicht zustimmen könnten. Ein Beispiel der Verletzung 
einer allgemeinen völkerrechtlichen Pflicht entnimmt Heilborn S. 293 den Vorgängen 
während des kanadischen Aufstands im Jahre 1838 (Gebictsverletzung). 
2) Strisower in Grünhut’s Ztschr. XVI S. 717. 
3) Heilborn, System 8. 296. 
Ullmann, Völkerrecht. 10
	        
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