& 39. Rechtliche Verantwortlichkeit der Staaton. 149
lichem Sinne und in einer das juristische Wesen der Sache vollkommen ver-
kennenden Weise geschehen. Als völkerrechtliches Delikt erscheinen alle
Angriffe gegen die durch das Völkerrecht den Völkerrechtssubjekten verbürgte
Rechtssphäre. Der die primären, allgemeinen Rechtsverhältnisse der Mitglieder
der internationalen Gemeinschaft beherrschende allgemeine Imperativ, jede
Verletzung zu unterlassen, hat im praktischen Völkerrecht selbst eine
konkrete Fassung in der Anerkennung und Ausgestaltung bestimmter
spezieller Tatbestände nicht gefunden. In der Tat entspricht auch die all-
gemeine Fassung mehr den in ihrer Gesamtheit zu schützeneen Interessen:
es sollen eben alle die Persönlichkeit des Staates in irgend einem legitimen
Interesse berührenden Handlungen und Unterlassungen unterbleiben. Das
konkrete Objekt der Verletzung kann ein verschiedenes sein: ein persönliches
(ein Gesandter, ein Staatsangehöriger, ein Schutzgenosse usw.) oder ein sach-
liches (ein Hoheitszeichen usw.). — Die Pflicht zur Ersatzleistung wird nach
heutiger Anschauung über das Recht des Schadenersatzes nicht an den Nach-
weis einer Verschuldung zu knüpfen sein (z. B. in Fällen legitimer Anwen-
dung eines Kriegsmittels, wodurch ein Neutraler Schaden erleidet). — Zum
Zwecke der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs oder in einem Notstand
begangene Eingriffe in die Rechtssphäre eines anderen Staats begründen kein
völkerrechtliches Delikt.
2. Der Staat ist mittelbar verantwortlich, nämlich für Verletzungen
eines fremden Staates oder seiner Angehörigen, die von dem Staatsoberhaupt
nicht in seiner publizistischen Stellung, sondern als Privatperson oder von den
Organen des Staates mit Überschreitung der Grenzen ihrer Kompetenz, von
Kommunalverbänden in ihrem eigenen Wirkungskreise oder außer dem Bereich
ihrer Kompetenz als staatlicher Organe, von Staatsangehörigen, als Rechts-
subjekte anerkannter Genossenschaften, oder Fremden während ihres Auf-
enthalts im Lande begangen werden!) Handlungen der hier in Frage
stehenden physischen Personen haben für sich keinerlei formell internationale
Bedeutung, sie können nicht als Handlungen des betreffenden Staats überhaupt,
daher auch nicht als Handlungen des Staats als Völkerrechtssubjekt in Be-
tracht kommen uud folgemäßig auch nicht unmittelbar völkerrechtliche
Wirkungen äußern. Träger von völkerrechtlichen Ansprüchen und Pflichten
sind eben nur die Völkerrechtssubjekte selbst und nicht deren staatliche
Organe, die Privatpersonen, Verbände und Gesellschaften. International-
rechtlich gewinnen diese Personen in aktiver und passiver Richtung (als
Träger berechtigter Interessen und als Subjekte von Pflichten) eine Bedeutung
nur durch das Medium des Staates, dem sie angehören, beziehungsweise vor-
übergehend unterworfen sind. Die Anerkennung völkerrechtlicher Ver-
antwortlichkeit des Staates für betreffende Handlungen dieser Personen
wurzelt in letzter Reihe in der Anerkennung der internationalen Rechts-
ordnung, die selbst wieder auf der Anerkennung der fremden Rechtsubjekti-
1) Oppenheim I $ 149 bezeichnet die beiden Arten der Verantwortlichkeit mit dem
Ausdrücken: Original und vicarious responsibility.