8 50. Rechte der diplomatischen Agenten. 183
der Staatsgewalt des Empfangsstaates eine andere rechtliche Grundlage haben
als die in der Bezeichnung „Exterritorialität“ zum Ausdruck kommende
Fiktion, daß sich der Gesandte außerhalb des Territoriums befinde), in
welchem er seine Funktion zu erfüllen hat?2). Nur so viel ist richtig, daß
die Stellung der Gesandten durch die Anerkennung jener Immunitäten u. s. w.
der eines Fremden gleichkommt, der sich außer dem Territorium befindet).
Jene Fiktion, als rechtlicher Ausgangspunkt und Maßstab für betreffende
Privilegien und Freiheiten des Gesandten gedacht, führt zu praktisch un-
haltbaren Konsequenzen!) und unrichtiger theoretischer Auf-
fassung der ganzen Materie. In letzterer Beziehung sei insbesondere
der Ansicht gedacht, nach welcher die Exterritorialität die Freiheit von der
Geltung des materiellen Civil- und Strafrechts bedeuten soll. 5).
Einzelne der heute anerkannten Exemtionen und Immunitäten weisen
eine Beziehung zu der schon behandelten Unverletzbarkeit der Gesandten
auf, insofern sie teils als logische Konsequenz, teils als Mittel der Sicherung
der Unverletzbarkeit erscheinen: so die Exemtion von der Strafgerichtsbarkeit
und die Quartierfreiheit.
1) Von älteren Schriftstellern folgen der Fiktionslehre Klüber, G. Fr. Martens,
Real, von nweren Bluntschli, Harburger, Pradier-Fodere, Travers
Twiss, Calvo, Gabba. Gegen diese Ansicht Zorn in Hirth’s Annalen 1882, 111ff.;
Derselbe D. Staater. II, 462 und in v. Stongel’s Wörterb. d. d. Verwaltungsr. s. v.
„Exterritorialität“, Boling, a. a. O.; Hübler, Magistraturen 91ff.
2) Grotius, dejure belli ac pacis Il, 18, $4, 5: Legati fictione quadam habentur pro
personis mittentium, ita etiam fictione simili constituuntur quasi extra territorium, unde et
eivili jure populi, apud quem vivunt, non tenentur. Denselben Standpunkt nimmt Byn-
kershocek, De foro leg. c. 10 in der Richtung ein, daß der Exterritoriale in seinem
Heimatsstaat verbleibe.
3) Vgl. Lehr, Annuaire XI. p. 402.
4) Grotius, De Jure B. et P. II, XVII 4, 2: „Omnino tamen censeo placuisse gen-
tibus ut communis mos, qui quemvis in alieno territorio subjicit, exceptionem pateretur in
legatis ut qui... fictione simili constituerentur quasi extra territorium, unde et civili
jure populi, ad quem veniunt, non tonentur.“
5) So wurden im 16. und 17. Jahrhundert z. B. bezüglich der Unv erletzlichkeit des
Gesandtschaftshotels die äußersten Konsequenzen aus der Fiktion, daß sich der Gesandte außer
dem Territorium des Empfangsstaates befinde, gezogen. Diese Konsequenzen kamen in dem
jus quarteriorum — franchise des quartiers — zum Ausdruck, insofern die Exterritorialität
des Gesandtschaftshotels auf den ganzen Stadtteil ausgedehnt wurde, in dem sich das Hotel
befand. Aus dieser franchise des quartiors wurde dann das Asylrecht (droit d’asile) ab-
geleitet, kraft dessen die Wirksamkeit der lokalen Polizei- und Gerichtsgewalt vielfach aus-
geschlossen werden konnte, Tatsächlich wurde diese Quartierfreiheit (selbst zu Verschwö-
rungen gegen den Empfangsstaat) vielfach mißbraucht. Vgl. über das Asylrecht ins-
besondere Bulmerincq, Das Asylrecht in seiner geschichtlichen Entwicklung (1853), mit
Bezug auf das Gesagte 8. 125ff.; Pradier-Fod&re, Cours de droit diplomatique II p.
71sq.; F. v. Martens II. S. 43 ff. Seit dem 17. Jahrhundert wurde die Quartierfreiheit in
jenem ausgedehnten Maße teils eingeschränkt, teils gänzlich abgeschafft. — Abgesehen von
der eben erwähnten Konsequenz würde sich aus jener Fiktion neben anderen unhaltbaren
und in der Praxis nirgends zur Geltung kommenden Folgesätzen insbesondere auch ergeben,
daß selbst unbewegliches Vermögen des Gesandten der Herrschaft der Rechts- und Verwal-
tungsordnung des Empfangstaates entzogen wäre. Vgl. Hübler, Magistraturen 85.