Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

8 72. Kongresse und Konferenzen. 243 
  
  
wurde auf den Londoner Konferenzen von 1830—1833 das Königreich 
Belgien geschaffen, 1871 eine wesentliche Modifikation der Stipulationen des 
Pariser Kongresses zugunsten Rußlands bezüglich der diesem Lande im 
schwarzen Meer auferlegten Beschränkungen durchgeführt; ebenso sind die 
Aufgaben der Berliner Kongokonferenz von dieser im ganzen Umfange 
gelöst worden. Anderseits ist es allerdings richtig, daß zur Bezeichnung 
der Zusammenkünfte, die mit wichtigen und komplizierten Angelegenheiten 
befaßt waren, der Ausdruck Kongreß gebraucht wird. Ferner zeichnen 
sich Kongresse durch die größere Solennität des ganzen Vorgangs aus und 
genießen um deswillen ein größeres Ansehen. In rechtlicher Beziehung haben 
aber die Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenzen dieselbe Bedeutung. 
Kongresse treten zumeist nach einem Kriege zusammen; auch ist der vor- 
wiegend politische Charakter!) ihrer Verhandlungsgegenstände (außer dem 
Umstande, daß sie mancherlei Komplikationen aufweisen) zu beachten; 
vielfach ergibt sich ein Teil des Programms der Kongresse selbst in der 
Richtung auf wichtigere Angelegenheiten erst im Laufe der Verhandlungen. 
Auf Konferenzen ist der Gegenstand der Verhandlungen zumeist bestimmt 
abgegrenzt. Die Aufgabe, die einer Konferenz gesetzt ist, kann von größter 
Tragweite für die Weiterbildung des Völkerrechts?) und seines Quelleninhalts 
sein, so zZ. B. die Aufgabe, welche sich die Brüsseler Konferenz vom Jahre 
1874 bezüglich der Kodifizierung des Kriegsrechts, die Haager Konferenzen 
der Jahre 1893 ff. bezüglich der Einigung über Grundsätze des internationalen 
Privatrechts und die Haager Friedenskonferenzen 1899, 1907 gesetzt hatten‘). 
II. Wenn einzelne Schriftsteller!) die Kongresse und Konferenzen als 
„Organe der internationalen Gemeinschaft“ bezeichnen, so scheint der Begriff 
1) Aber auch der politische Charakter des Gegenstandes ist nicht maßgebend, so z.B. 
sind in dem Weltpostvereins-Vertrage vom 1. Juni 1873 Art. 25, Ziffer 2 in Zwischenräumen 
von mindestens fünf Jahren Kongresse zur Weiterbildung des Vertragsgegenstandes in 
Aussicht genommen. Anderseits sınd doch auch auf Konferenzen wichtige politische 
Fragen erledigt worden, so insbesondere auf den oben erwähnten Londoner Konferenzen 
von 1631—1833, 1871. 
2) Anderseits haben aber auch die Kongresse seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts 
sich um die Weiterbildung des Völkerrechts verdient gemacht; so in einigen wichtigen 
Punkten der Wiener Kongreß 1515, der Pariser Kongreß 1556. Sehr richtig betont auch 
von Nippold. Die Fortbildung des Verfahrens in völkerr. Streitigk. 481. 
3) Die Frage, ob schon zwei Staaten einen Kongreß bilden können, bezeichnet Ri- 
vier, Lehrb. S. 313 Anm. 2 mit Recht als eine müßige. An sich könnte doch wohl auch 
von einem derartigen Kongresse gesprochen werden, wenn man erwägt, daß die Beteiligung 
an Kongressen vielfach auf eine Minorität der Staaten — nämlich der Großmächte — be- 
schränkt ist und die Zahl derselben auf die kleinste Minorität von zwei Staaten, die sich die 
Hegemonie im Völkerkonzert zu sichern wußten, reduziert scin könnte. Der Gang der ge- 
schichtlichen Entwicklung ist nun freilich ein anderer. — Für die theoretische Bejahung der 
Frage Rivier a. a. O.; Berner in Bluntschli’s Staatswörterbuch V S. 662. — A.N. 
Geffeken, HH IU S. 679, der den Begriff der Kongresse und Konferenzen auf Versamm- 
lungen der Vertreter mehrerer Staaten beschränkt. Dies entspricht allerdings der Praxis und 
Geschichte. Übrigens gibt Geffeken selbst zu, daß der Begriff des Kongresses u. 8. w. 
nicht von der Zahl der Teilnehmer abhängt; es müßte also auch jene minimale Zahl genügen. 
— Auf der Haager Konf. 1907 waren 44 Staaten vertreten; es ist dies die erste mon- 
diale Versammlung. 4) F. v. Martens, Geffeken, Geßner u. A. 
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