8 75. Abschluß der Staatsvertrüge. 1. Die Kontrahenten der Staatsverträge. 257
mal bezüglich der mit den Vorverhandlungen d. i. der Herstellung des Vertrags-
entwurfs befaßten Bevollmächtigten der zum Abschluß des Vertrages allein
berufenen Hauptorgane der kontrahierenden Staaten und der Legitimation
dieser Hauptorgane selbst. Die Voranstellung der Frage der Legitimation der
Bevollmächtigten bedeutet natürlich nicht die Behauptung primärer Be-
deutung dieser Frage in juristischer Beziehung; sie rechtfertigt sich aber
dadurch, daß ja tatsächlich die Anknüpfung von Verhandlungen durch die
staatlichen Hilfsorgane namens der Hauptorgane der primäre Vorgang bei der
Einleitung eines internationalen Übereinkommens ist und die Hauptorgane erst
auf Grund des fertiggestellten Vertragsentwurfs den fürden Vertragsabschluß
maßgebenden Akt — die Ratifikation des Vertrages — vollziehen. Dies ist
auch jener Moment in dem gesamten Vorgang, in welchem die Frage der
Legitimation zum Vertragsabschluß von entscheidender Bedeutung ist;
hier entsteht die Frage: ist das den Vertragsabschluß bewirkende Organ auch
wirklich rechtlich berufen, den Willen des von ihm vertretenen Staates zu
bekunden, bezw. ist der Wille, wie er bekundet wird _der wahre Wille des
vertretenen Staates? Es liegt nahe, in Verbindung mit dem selbstverständ-
lichen Satz, daß in einem Staatsvertrag, der doch die Willenseinigung von
Staaten bedeutet, nur der wahre Wille der kontrahierenden Staaten zu formellem
Ausdruck kommen soll, Einrichtungen zu postulieren, welche Konflikte einerseits
zwischen den kontrahierenden Staaten selbst und anderseits zwischen den
kontrahierenden Vertretern der Staaten und anderweiten verfassungsrechtlich
zur Geltendmachung ihres Willens berufenen Faktoren verhüten. Es liegt
nahe, zur Vermeidung von Konflikten unter den Kontrahenten zu fordern, daß
dem einen Kontrahenten das Recht zustelie, die Legitimation des anderen
Kontrahenten zu prüfen, d.i. sich volle Gewißheit zu verschaffen, daß der Mit-
kontrahent nach den für seine repräsentative Wirksamkeit nach außen be-
stehenden verfassungsrechtlichen Normen berechtigt ist, den Staatswillen so,
wie er es getan, rechtswirksam zu bekunden. Allein hier treten sofort jene
Momente hervor, welche jenes Postulat als einen bloßen Wunsch erkennen
lassen. Vor allem ist nämlich zu beachten, daß eine solche Prüfung der Le-
gitimation — vorausgesetzt, daß ein Recht zu dieser Prüfung völkerrechtliclhh
überhaupt statuiert werden könnte — zumeist der zuverlässigen, Konflikte aus-
schließenden Grundlage entbehrt. Die Frage, ob zum Abschluß eines Vertrages
im Namen des Staates betreffende Organe an die Zustimmung der Volks-
vertreetung (oder anderer staatsrechtlicher Körperschaften, z. B. des Bundesrates
im Deutschen Reich nach Art. 11 Abs. 3 der Reichsverfassung) gebunden seien,
oder ob die Verfassung eine derartige Zustimmung nur für die Vollziehung
eines Vertrages fordert, läßt sich nicht immer mit Sicherheit beantworten !).
Derlei Fragen bilden einen der streitigsten Punkte des konstitutionellen
Staatsrechts und die Quelle mannigfacher Konflikte zwischen Regierung und
Volksvertretung. Soll jene Prüfung der Legitimation zum Vertragsabschluß
1) Laband HS. 163: „Die Legitimation zur Vertretung betrifft cin ganz anderes
Rechtsverhältnis, wie die Befugnis, Untertanen und Behörden rechtsgültige Befehle erteilen
zu dürfen.“
Ullmann, Völkerrecht. 17