270 Viertes Buch. Mittel des rechtlichen Verkehrs der Völkerrechtssubjekte. 8 79.
Rechtliche Wirkung fehlt auch einem Vertrage, dessen Inhalt mit an-
erkannten Grundsätzen des Völkerrechts in Widerspruch steht, so z. B. wenn
ein Staat einem anderen gegenüber die Pflicht übernehmen wollte, nicht zu
intervenieren, wenn der letztere sich Teile der offenen See aneignet oder einem
Staate gegenüber auf die Verfolgung des Seeraubs, Sklavenhandels usw. ver-
zichten würde.
III. Leistung und Gegenleistung müssen einander nicht gleichstehen; die
privatrechtlichen Bestimmungen über laesio enormis finden im Völkerrecht keine
Anwendung.'!) Als eine besondere Beschränkung der Vertragsfreiheit bezüglich
des Gegenstandes kann die Forderung, daß die Kontrahenten nicht über ein
Objekt disponieren, das bereits Gegenstand eines anderweiten Vertrags gewesen
ist, nicht gelten: hier handelt es sich eben nur um einen Fall rechtlicher
Unmöglichkeit. 2)
Rechtliche Wirkung fehlt daher einem Vertrage, dessen Inhalt mit der
durch frühere Verträge geschaffenen rechtlichen Ordnung betreffender Ver-
hältnisse in Gegensatz tritt. So war z. B. der Inhalt des Präliminarfriedens
von San Stefano 1878 unvereinbar mit dem Pariser Vertrag von 1856 und
der Londoner Konvention von 1871. Der Protest Englands war daher durch-
aus legitim.
IV. Im Wesen des Vertrages liegt es ferner, daß er nur für die Kon-
trahenten rechtliche Wirkung äußern kann, weil sie durch die betreffende
Willenseinigung nur sich selbst, nicht auch Dritte verpflichten können, es wäre
denn der Verpflichtungswille des Dritten bei dem Abschluß des Vertrages zum
Ausdruck gekommen. Daher sind auch Kollektivverträge immer nur für die
kontrahierenden Mächte rechtlich wirksam. Das vorhandene Vertragsverhältnis
kann auf Dritte nur dadurch ausgedelınt werden, daß sie sich den ursprüng-
lichen Kontrahenten anschließen und in das Vertragsverhältnis eintreten. Da-
gegen kann ein Staat sich allerdings verpflichten, seine freundlichen Dienste
(bons offices) zu verwenden, um einen dritten Staat zu einer Handlung oder
Leistung zu bestimmen. Inhalt der übernommenen Verpflichtung kann natürlich
nur die bona fide auszuführende Verwendung sein. — Auf Grund spezieller
publizistischer Beziehungen zweier Staaten zu einander kann die Übernahme
einer Verbindlichkeit auch für den anderen Staat volle rechtliche Wirksamkeit
äußern; so binden die vom Suzerän rechtsgültig abgeschlossenen Verträge auch
Anschauungen über den sittlichen Charakter einzelner Vertragsgegenstände, wie sie insbeson-
dere in Aufzählungen unsittlicher Verträge bei einzelnen Schriftstellern (Bluntschli, Völker-
recht $8$ 411, 412 u. A.) hervorgetreten sind, seien in juristischer Beziehung nicht verwertbar.
3ı F. v. Martens I S. 406; Jellinek, Staatenverträge S. 60; Nippold a.2.0.S. 180.
Vgl. auch Fiore I], p. 493.
4) Vgl. die Aufzählung von derlei Fällen bei Leopold Neumann, Grundriß S. 58.
Dagegen stellt F. v. Martens I S. 407 obige Forderung als einen selbständigen Grundsatz
auf. Siche dagegen Nippold a. a. O. S. 159, 190, der sich auch im Anschluß an Jellinck,
System S. 304 gegen die (von F. v. Martens, Gareis, v. Bulmerincg) aus der Unver-
äußerlichkeit der sog. Grundrechte eines Staates abgeleiteten Beschränkungen der Vertrags-
freiheit ausspricht. Die Frage hängt bekanntlich mit der Anschauung über die juristische
Natur dieser Rechte zusammen.