Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 83. Wirkung und Sicherung der Staatsverträge. 279 
  
kann geleistet werden von einem dritten Staate für einen oder für beide 
Kontrahenten, von einem Kontrahenten für einen anderen Mitkontrahenten 
gegen andere Mitkontrahenten, auch kann von sämtlichen Kontrahenten gegen- 
seitig Garantie geleistet werden: sogenannte wechselseitige Garantie. Es 
handelt sich in diesen Verträgen zumeist um die Garantie der Unabhängigkeit 
und eines bestimmten Besitzstandes !) oder einer Gesamtheit von Rechten, die 
aus einem internationalen Vertrage entspringen. Die Garantie kann ferner die 
Erhaltung eines bestimmten internationalen Zustandes im all- 
gemeinen Interesse, z.B. der dauernden Neutralität und damit der 
Unabhängigkeit und des Besitzstandes eines Staates, zum Gegenstande haben?); 
es kann auch die Thronfolge einem Fürsten oder einem Zweige einer 
fürstlichen Familie garantiert werden.?) Ebenso können einzelne oder mehrere 
Mächte für die Erfüllung der Schuldverbindlichkeit eines dritten Staates Garantie 
leisten.+) Wird die Garantie von mehreren Staaten übernommen, so liegt ein 
Kollektivakt vor (sogenannte Kollektivgarantie). Eine solche Kollektiv- 
garantie tritt vielfach als selbständiger Akt der Großmächte auf, für welche 
nicht so sehr die Interessen des Staates, auf den sich die Garantie bezieht, 
sondern allgemeine politische Interessen entscheidend sind. Derlei Akte spontaner 
Übernahme einer Garantie werden (mit Bluntschli) passend „Garantie- 
beschlüsse“ genannt. Eine anomale Erscheinung sind die Fälle der Garantie 
der inneren Einrichtungen eines Staates, insbesondere seiner Verfassung. Derlei 
Verträge erschweren die freie Entwicklung der inneren Angelegenheiten eines 
Landes und sind leicht der Anlaß zu internationalen Verwicklungen. 5) 
1) So garantierte Napoleon I. dem Kaiser von Österreich die Integrität seines Besitz- 
standes (Art. 14 des Vertrages vom 14. Oktober 1809), Durch Vertrag vom 13. Februar 1832, 
bestätigt am 13. Juli 1863, garantieren England, Frankreich und Rußland die Unabhängigkeit 
und den Besitzstand des Königreichs Griechenland. Es garantierten sich Österreich und 
Preußen durch Art. 1 des Vertrages vom 30. April 1854 für die Dauer des orientalischen 
Krieges ihre deutschen und außerdeutschen Besitzungen. Art. 7 des Pariser Friedens von 
30. März 1856 garantiert die Unabhängigkeit und Integrität des türkischen Reiches (bestätigt 
durch den Tripelvertrag zwischen Österreich, England und Frankreich vom 15. April 1856 
und den Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 Art. 63). — Vgl. Geffceken, HH III S. 9. 
2) Art. 29 der Wiener Kongreßakte und die Akte der fünf Großmächte vom 20. Jan. 
1815 garantiert die dauernde Neutralität der Schweiz, der Bezirko von Chablais und 
Faucigny (vgl. dazu neucstens Morand in der Revue generale de droit intern. p. Ip. 522 sq.), 
Art. 7 und 25 des Vertrages vom 15. November 18531 jene von Belgien, Art. 2 des Ver- 
trages vom 18. Mai 1867 jene von Luxemburg. — Bei Beginn des deutsch-französischen 
Krieges von 1870 schloß England mit Preußen (9. Aug. 1570) und Frankreich (11. Aug. 1870) 
zum Schutz der Neutralität Belgiens betreffende Verträge ab. 
3) Hieher gehört der Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852 zwischen Dänemark, Öster- 
reich, Preußen, England, Frankreich, Rußland und Schweden, durch den dem Fürsten Christian 
von Sonderburg-Glücksburg die Nachfolge nach dem Könige Friedrich VII (der keine männ- 
lichen Nachkommen hatte) garantiert wurde. 
4) So wurde z. B. im Jahre 1833 die griechische Anleihe von Frankreich, England 
und Rußland garantiert. Im Jahre 1985 garantierten die sechs Großmächte ein Egyptisches 
Anlehen von 9 Millionen Pfund Sterling für eine Jahressumme von 315000 Pfund Sterling. 
5) Die Geschichte des alten Deutschen Reiches seit dem Westphälischen Frieden be- 
zeugt dies am deutlichsten. Die von Frankreich und Schweden übernommene Garantie der 
deutschen Reichsverfassung war eine ständige Quelle von Einmischungen Frankreichs in die 
 
	        
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