Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

282 Viertes Buch. Mittel des rechtlichen Verkehrs der Völkerrechtssubjekte. $ 55. 
  
die Kontrahenten sind hiernach nicht nur zu dem verpflichtet, was im Vertrage 
ausdrücklich normiert ist; sie haben den Vertrag in seinem ganzen Inhalt, 
wesentlichen und minder wesentlichen Bestimmungen in dem Sinne, den Recht, 
Sitte und guter Glaube fordern, zu erfüllen. 
II. Eine authentische Interpretation kann nur durch die Kontra- 
henten selbst in einem gemeinschaftlichen, ihren Willen außer Zweifel setzenden 
Akte (einem Nachtrags- oder Erläuterungsvertrage) erfolgen. Ist auf diesem 
Wege Übereinstimmung der Meinungen nicht zu erzielen, so ergibt sich als 
wirksamstes Mittel der Beseitigung der Zweifel und sohin des etwa damit 
gegebenen Streitfalles die Mitwirkung dritter Staaten. Die Auslegung wird 
durch Kompromiß einem dritten Staate überlassen und dieser fungiert als 
Schiedsrichter. Neuere Verträge nehmen auf diesen Vorgang schon bei der 
Abschließung Rücksicht, indem sich die Kontrahenten für den Fall der Divergenz 
der Anschauung über den Sinn einer Vertragsbestimmung verpflichten, sich 
einem Schiedsgericht unterwerfen zu wollen, sogenannte kompromissarische 
Klausel!) (s. unten i. d. Lehre vom rechtl. Verf.:) 
IV. Das Institut für internationales Recht hatte in der Session zu 
Cambridge aus Anlaß des Entwurfs der Revision der Berner Konvention 
vom 9. September 1886 betreffend den Schutz des literarischen und artistischen 
Eigentums den Gedanken, internationale Gerichte mit der Interpretation 
der Verträge über internationale Unionen zu betrauen, ausgesprochen.?2) Nach- 
dem Roguin und Darras über die Frage Bericht erstattet hatten, wurde 
von de Seigneux in Brüssel 1902 ein neuer Entwurf vorgelegt. In Edin- 
burg wurde die Beratung wieder aufgenommen und die Errichtung besonderer 
internationaler Gerichte fallengelassen und folgende Resolution angenommen: 
„L’Institut de Dr. intern. &stime quw’au cas d’interpretation divergente des 
conventions internationales il y a lieu pour les gouvernements de recourir ä 
l’intervention de la Cour permanente d’arbitrage de la Haye.“ 
$ 85. Dauer, Bestätigung, Erneuerung, Wiederherstellung und 
Erlöschen der Staatsverträge. °’) I. Ein Staatsvertrag behält seine Wirkung 
bezw. Verbindlichkeit so lange, bis ein Grund des Erlöschens eintritt. 
II. Unter Bestätigung (confirmatio) eines Staatsvertrages verstelit 
man die ausdrückliche Erklärung der Anerkennung seiner fortwährenden Ver- 
  
I) Auf Mancini’s Anregung wurde in die neueren Verträge Italiens regelmäßig die 
Kompromitbklausel aufgenommen. Ähnlich gehen jetzt auch andere Staaten vor. 
2)S. Annuaire XV, 309. 
3) Dresch, Über die Dauer der Völkerverträge (1808); Tröltsch, Versuch einer Ent- 
wicklung der Grundsätze, nach welchen die Fortdauer der Völkverträge zu beurteilen (1809); 
Heffter-Geffcken $$ 98, 99; Geßner, HH III S. 79 f£.; Bluntschli, Völkerrecht 88 451 
bis 461; F. v. Martens IS. 425ff.; Hartmann S. 150 ff.; Gareis 88 75; Leopold Neu- 
mann, Grundriß S. 79; Rivier, Lehrb. S. 349ff.; Jellinek, Staatenverträge S. 62 ff.; Nip- 
pold a. a. 0. S. 235ff.; Pradier-Fodöre, Traitö $$ 1200 sq.; Despagnet Cours p. 
455 sq.; Piedelievre, Pr£&cis Ip. 309sq. — Vgl. auch den interessanten Aufsatz von 
John St. Mill, Treaty obligations in der Fortnightly Review vom 1. Dezember 1570 und 
G. Rolin-Jaequemyns, Archives de droit international Ip. VIllsq.; Fiore IL p. 1047 sq.; 
Pradier-Fod6Gr& Il, p. 1200sq.; Rivier, Principies II, $ 55; Olivi Sull’ estinzione dei 
trattati intern. (1683); Hall $ 116; Taylor, $$ 394 sq.; Oppenheim I $$ 534 sq.
	        
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