294 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. g 56,
so z. B. ist Rußland durch Verträge mit Persien berechtigt, das kaspische
Meer ausschließlich mit Kriegsschiffen zu befahren.!) — Binnenseen, die vom
Landgebiet mehrerer Staaten umgeben und vom offenen Meer mit Schiffen
zugänglich sind, dienen zweifellos allgemeinen Interessen des Verkehrs; es liegt
daher nahe, den Grundsatz der freien Schiffahrt auf solchen Gewässern für
anwendbar zu erklären. Eine allgemein völkerrechtliche Norm besteht jedoch
nicht, obgleich tatsächlich jener Grundsatz gehandhabt wird. Eine formelle
Anerkennung der Freiheit der Schiffahrt (für Handelsschiffe) erfolgte bis jetzt
nur bezüglich der Seen des Kongogebiets durch Art. 15, Abs.2 der Kongoakte
vom Jahre 1885. Das schwarze Meer hatte solange den Charakter eines
nationalen Binnengewässers und bildete sohin einen Teil des türkischen Staats-
gebietes, als die Ufer unter der Herrschaft der Türkei standen und die Verbindungs-
straßen (Bosporus und Dardanellen) dem freien Verkehr der Handelsschiffe aller
Staaten noch nicht geöffnet waren. Infolge der neueren und jetzigen Herrschafts-
verhältnisse an den Ufern des schwarzen Meeres und der vertragsmäßigen
Anerkennung der Freiheit der Zufahrt (für Handelsschiffe aller Flaggen)?) gehört
das schwarze Meer zum offenen Meer und finden die Konsequenzen der Meeres-
freiheit auch hier Anwendung. Wie schon oben in anderem Zusammen-
hange bemerkt wurde, erfolgte durch Art. 11 des Pariser Friedens 1856 die
Neutralisierung des schwarzen Meeres; die Freiheit der Handelsschiffahrt
wurde neuerlich betont; dagegen wurden Kriegsschiffe aller Flaggen aus-
geschlossen und nur einige russische und türkische Staatsschiffe für die Zwecke
des Küstendienstes zugelassen.?) Durch den Londoner Vertrag vom 13. März
1871 wurde die Neutralisierung des schwarzen Meeres und das auf Kriegs-
schiffe bezügliche Verbot aufgehoben, dagegen das Recht der Pforte, fremden
Kriegsschiffen die Durchfahrt durch die Meerengen zu verbieten, aufrecht-
erhalten.
Objekt der Gebietshoheit eines Staates sind auch die Häfen, Reeden,
Buchten, Baie, Golfe, Meerbusen. Indessen konkurrieren auch hier wie
1) Phillimore, Comment. I p. 243. Über das kaspische Meer, den Bodensee und die
kanadisch-amerikanischen Seen siche Carath&odory, HH II S. 379ff. Über die „völker-
und staatsrechtlichen Verhältnisse des Bodensees® vgl. insbesondere die historisch-juristische
Untersuchung vun Rettich (1884); v. Seydel, Bayer. Staatsrecht IS. 335, III S. 259. Gegen
die von diesen beiden Schriftstellern ausgesprochene Ansicht, daß bezüglieh des Bodensees
ein Kondominat der Uferstaaten anzunchmen sei, sprechen sich v. Martitz, Annalen des
deutschen Reichs 1885, Rivier, Lehrb. S. 1386, Otto Mayer in v. Stengels’s Wörterbuch
des deutschen Verwaltungsrechts I S. 213, 214 aus, welche eino Zugehörigkeit zu reellen
Teilen aunehmen. Für letztere Ansicht neuestens v. Liszt $9. — Neutralisiert ist der der
Schweiz gehörende Teil des Scecs.
2) Vgl. Art. 7 des Friedens von Adrianopel vom 2./14. Sept. 1829; Londoner Konven-
tion v. 13. Juli 1841; Art. 10, 11 des Pariser Friedens v. 30. März 1856; Londoner Vertrag
v. 13. März 1871, Art. 2 u. 3; Bestätigung der beiden letztgenannten Verträge durch Art. 63
des Berliner Vertrags v. 13. Juli 1878; Zirkularnote der Türkei v. 19. Sept. 1891. Sämtliche
Daten bei Fleischmann, 31, 39, 52, 56, 93, 147, 265.
3) Art I u. 2 des Additionalvertrags zum Pariser Frieden 1856 (Sechs größere Dampf-
schiffe und vier leichtere Dampf- oder Segelschiffe).