Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

300 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Meer. Die intern. Flüsse etc. Ss 9%. 
  
rechten durch Abschließung von Protektoratsverträgen im völkerrechtlichen 
Sinne ausgeschlossen. Diese Protektorate (wie z. B. jenes Frankreichs über 
Annam) chrakterisieren sich neben anderen Momenten durch ihre enge Be- 
ziehung zur Kolonialpolitik und die politischen Bestrebungen der betreffen- 
den europäischen Staaten. Dagegen weist die Kolonialpolitik der euro- 
päischen Mächte gegenüber der in neuester Zeit in größtem Umfang in Angriff 
genommenen Kolonialisation des afrikanischen Kontinents andere charakteri- 
sierende Merkmale auf. Hier bilden allerdings auch die konkreten wirt- 
schaftlichen Interessen an kolonialem Besitz das individuelle Motiv für die 
koloniale Aktion. Allein seit der kollektiven Aktion der Mächte auf der 
Kongokonferenz und der allerdings nur unvollständigen Normierung des Erwerbs 
kolonialen Besitzes (durch Art. 34, 35 der Kongoakte) gewann das Vorgehen 
der einzelnen Mächte nicht bloß eine einheitliche rechtliche Regelung, sondern 
gleichzeitig auch den Charakter einer kollektiven Aktion der Signatarmächte 
zur Pflege bestimmter solidarischer Interessen, kultureller und 
zivilisatorischer sowie auch humaner Aufgaben. Jene rechtlichen 
Bestimmungen über den Erwerb kolonialen Besitzes in Afrika müssen mit den 
Eingangsworten der Berliner Generalakte in engsten Zusammenhang gestellt 
werden. Damit ist den kolonisatorischen Bestrebungen der Mächte ein Weg 
gewiesen, der die Anwendung offener Gewalt, die im Entdeckungszeit- 
alter geherrscht hat, ausschließt. Der Erwerb der Gebietshoheit in herren- 
losem Land durch Okkupation wird an sachgemäße Bedingungen geknüpft. 
Soweit es sich aber um Erreichung kolonisatorischer Zwecke in den von 
barbarischen und halbzivilisierten Stämmen bewohnten Ge- 
bieten handelt, mußte ein anderweiter Vorgang gewählt werden, wenn 
anders der Standpunkt der Generalakte, welcher ofiene Gewalt ausschließt, 
zur Geltung kommen sollte. Dieser Vorgang (Art. 34 Kongoakte) besteht in 
dem Abschluß von Schutzverträgen; zur Bezeichnung des rechtlichen Ver- 
hältnisses der betreffenden europäischen Macht zu dem unter Schutzherrschaft 
gestellten Gebiete und gleichzeitig zur Unterscheidung von dem völkerrecht- 
lichen Protektorate ist der Ausdruck Kolonialprotektorat (protectorat 
colonial), für die Erwerbungen des Deutschen Reiches der Ausdruck Schutz- 
gebiete, üblich geworden. Die Wirksamkeit solcher Protektorate gegen- 
über dritten Staaten ist nach Art. 34 Kongoakte lediglich an die Voraussetzung 
der Notifikation geknüpft, während die Wirksamkeit der Okkupation zu- 
folge Art. 35 auch noch durch die Effektivität der Okkupation bedingt ist. 
Nach dem Wortlaut dieser beiden Artikel würde daher der Abschluß eines 
Schutzvertrags und die Notifikation dieser Tatsache an die Mächte genügen, 
um ein koloniales Protektorat und die Pflicht dritter Staaten zur Respektierung 
dieses Protektorates zu begründen, auch wenn seitens des europäischen Staates 
keinerlei Herrschaftsakte in dem Gebiete vorgenommen werden. Allein ein 
solches passives Verhalten scheint mit dem Zwecke der Kongoakte im Wider- 
spruch zu stehen. Soll der afrikanische Kontinent dem Handel eröffnet und 
sollen ferner die anderen Aufgaben gelöst werden, so kann dies nur durch 
Organisation der Schutzgewalt, insbesondere durch Entfaltung einer geordneten
	        
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