8 93. Die Okkupation. Das Subjekt der Okkupation. 309
III. Ilegitimer Gebietserwerb kann teilweise anerkannt, teilweise ange-
fochten sein; er kann aber im Laufe der Zeit allmählich stillschweigend all-
gemeine Anerkennung finden !). — Von Akquisitiv-Verjährung kann im Völker-
recht von vornherein nicht die Rede sein, da keine völkerrechtliche Quelle
eine Ersitzungsfrist normiert 2).
$ 93. Die Okkupation®). 1. Das Subjekt der Okkupation. Bezüglich
der Lehre vom Subjekt der Okkupation stehen einander die ältere, traditionelle
und die neuere, an tatsächliche Vorgänge in den der Okkupation zugänglichen
Gebieten und die Praxis der zivilisierten Staaten anknüpfende Anschauung
gegenüber. Die traditionelle Ansicht geht dahin, daß auf dem Boden des
Völkerrechts nur Völkerrechtssubjekte, also anerkannte Staaten, durch Okku-
pation staatliche Herrschaft über ein herrenloses Gebiet begründen können.
Die Okkupation kann also nur durch offizielle Organe des erwerbenden
Staates (mit oder ohne Spezialvollmacht, wie z. B. durch die Befehlshaber
einer Kriegsflotte) oder durch Private, die zur Okkupation staatlich ermächtigt
sind, bezw. durch nachträgliche Genehmigung von Akten der Privaten seitens
des Staates bewirkt werden‘); in diesem letzteren Falle wird ein bloßes
Privatrechtsverhältnis durch die nachträgliche Genehmigung in ein öffentlich-
rechtliches Herrschaftsverhältnis umgewandelt5); vor dieser Genehmigung be-
sitzen Private oder Handelsgesellschaften usw. lediglich Privatrechte an den
von ihnen erworbenen Ländereien. Die ältere Ansicht gibt nur zu, daß Private
oder Gesellschaften mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in herren-
losem Gebiete die Neugründung eines Staates unternehmen und das neue
Staatswesen ihrer Macht dauernd unterstellen können); erlangt ein solcher
Staat die Anerkennung dritter Staaten, so ist er damit erst als Völkerrechts-
subjekt in die Staatengemeinschaft aufgenommen. — Nach der neueren An-
sicht‘) werden auch Privatpersonen (Gesellschaften) als Subjekte der
Okkupation anerkannt: auch Privatpersonen können durch Okkupation an
herrenlosem Gebiet Gebietshoheit, sohin Souveränetät erwerben. Die Ansicht
1) v. Holtzendorff, HH II 254. Siehe übrigens Oppenheim I, $$ 242 sq.
2) v. Holtzendorff, HH II 255 findet eine solche Normierung vom Standpunkte der
Zweckmäßigkeit wünschenswert. Twiss, Law of nations I $ 129 erblickt in der Ersitzung
eine Ergänzung der Okkupation.
3) v. Holtzendorff HH II, 255 ff.; Hefftor-Geffcken $ 70; Gareis, $ 70; v. Liszt,
& 10; A.Zorn, 65 ff.;, Heimburger, Der Erwerb der Gebietshoheit (1888); Bonfils, p. 536 8q.;
Despagnet, Cours p. 4918q.; Pradier-Fod6&r&, 11, p. 784 sq.; Fiorell, p. 841 ff.; Rivier,],
188 8q.; Tartarin, Trait6 de l’occupation (1673); Salomon, L’occupation des territoires sans
maitre (1889); Jöze, Etude thöorique et pratique sur l’occupation (1896); Hall 88 328q.;
Westlake, I, 96sq. und chapters, 155 sq.; Phillimore, 1, 85 236sq.; Oppenheim |,
&8 220 8q.
4) Näh. über die durch Mittelspersonen bewirkte Okkupation bei Salomon I. c. 106.
5) v. Holtzendorff a.a.0.; Phillimore, Comment. Il $ 227 bringt die Konsequenzen
obiger Ansicht am vollständigsten zum Ausdruck.
6) Beispiele: die Gründung des Staates Sarawak auf Borneo durch Sir Brooke im Jahre
1941; 1868 wurde dieser Staat unter englisches Protektorat gestellt (bis 1888).
‘) Joel a. a.0.196; G. Meyera.a.0.150; Heimburgera.a.0.47 ff.; v. Stengel
a.2. 0. 45; v. Martitz im A. f. öff.R. 18 77; Adama.a.0.19ff.; Heilborn a.a. 0. 66 ff.