318 Fünftes Buch. Das Staatsgebiet. Das offene Mcer. Die intern. Flüsse etc. 8 9.
wegs von der Tradition abhängig. Andrerseits ist es selbstverständlich, dab
der Erwerber seine Gebietshoheit erst auf Grund effektiver Besitzergreifung
ausüben kann. — An sich steht keinem dritten Staat ein Recht des Ein-
spruchs gegen die Erwerbung der Gebietshoheit durch Zession zu. Aus
nahmsweise kann ein solches Einspruchsrecht begründet sein, so z. B. für den
Fall der Erwerbung neuen Gebiets seitens eines neutralisierten Staats. Davon
sind jedoch Fälle der Intervention gegen einen Gebietserwerb, der z. B. eine
Störung des politischen Gleichgewichts zu verursachen geeignet wäre, wohl zu
unterscheiden (s. unten in der Lehre von der Intervention). So trat der Nord-
deutsche Bund der Zession Luxemburgs seitens Hollands an Frankreich (1867)
entgegen. Luxemburg wurde neutralisiert 1).
III. Das zedierte Territorium geht mit allen darauf haftenden Lasten,
insbesondere auch den passiven Servituten, sowie der dem Lande durch inter-
nationale Akte auferlegten dauernden Neutralität auf den Erwerber über. Im
übrigen gilt auch hier der Grundsatz: nemo plus juris in alium transferre
poltest quam ipse habet.
$ 98. Fortsetzung. Plebiszit und Option?) Neuere Verträge ent-
halten eine Klausel, der zufolge die Gültigkeit der Zession von der formellen
Zustimmung der Bevölkerung des zedierten Gebietes abhängen soll’).
Häufiger wird in den Verträgen der Bevölkerung des zedierten Gebietes „die
Befugnis der ausdrücklich oder stillschweigend abzugebenden Willenserklärung,
im bisherigen Staatsverbande zu verbleiben oder einem fremden beizutreten“
(Stoerk) vorbehalten: sog. Optionsrecht. Beide Institute suchen das mit
dem politisch wichtigen uud in das Schicksal eines Gemeinwesens tief ein-
greifenden Vorgang der Gebietszession verknüpfte Interesse der Bevölkerung
zu wahren und die harmonische Koexistenz des öffentlichen und des Individual-
rechts zu sichern. Je mehr aber der Begriff der Staatsgewalt in der Theorie
und im praktischen Staatsleben in seiner öffentlich-rechtlichen Natur erfaßt
wurde, anderseits aber gegenüber der Übertreibung des Souveränetätsbegriffs
die Rechte des Individuums zu Ehren gelangten, desto näher trat die Frage,
welches Maß von Rechten in Fällen von Gebietszessionen oder Eroberungen
dem Staatsbürger zukomme, der nicht mehr als glebae adscriptus ipso facto
als zediert betrachtet werden sollte. Die Lösung dieses Problems kann nur
vember) 1859 von Österreich die Lombardei zediert erhalten: eine Besitzergreifung seitens
des Zessionars erfolgte nicht; gleichwohl hatte dieser im weiteren Verlaufe der Angelegen-
heit die Souveränetät an Sardinien rechtswirksam übertragen.
1) Vgl. Oppenheim I, $& 218.
2) Stoerk, Option und Plebiszit (1879), Derselbe, HH ILS. 613 ff.; Ullmann in der
Allg. österr. Gerichts-Zeitung 1880, 367 ff., F. v. Martens I 356 ff.; Rivier, Lehrb. 141 ff.;
Schlief im A. f. ö. R. VIII 189 ff.; Heilborn, System 112ff.;, Freudenthal, Die Volks-
abstimmung bei Gebietsabtretungen und Eroberungen (1891); F. Lieber, R III 139 sq.; G.
Rolin-Jaequemyns, ebenda 172 sq., 536 sq.; Padelletti, ebenda 464 sq.; Funck-Bren-
tano et Sorel, Precis 335 sq.; Despagnet, Cours 411; Bonfils p. 570; Oppenheim
I, $ 219.
3) Der erste Fall der Anwendung der Plebiszitklausel kam im Jahre 1791 vor (Inkor-
porierung der Grafschaft Venaissin und des Gebiets von Avignon).