Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 99. Beschränkungen der Gebietshoheit. Staatsservituten. 319 
  
im Sinne der heutigen Staatsidee und ihrer Konsequenzen erfolgen. Dies 
fehlt aber der Plebiszittheorie. Diese wurzelt in der falschen Vertragstheorie 
und nicht, wie vielfach behauptet wurde, in den Konsequenzeu des Parlamen- 
tarismus oder konstitutioneller Einrichtungen überhaupt, denn auch im konsti- 
tutionellen Staat gilt nur das als Gemeinwille und legitime Aktion des Staates, 
was die verfassungsmäßigen Organe beschließen und tun. Der Wille der 
Einzelnen kann nicht entscheiden. Das Recht des Volkes kann eben nur 
durch die verfassungsmäßige Repräsentanz zum Ausdruck und zur Geltung 
kommen. Die Unhaltbarkeit der Plebiszittheorie tritt übrigens noch deutlicher 
vor Augen, wenn man ihre technische Durchführbarkeit prüft. Abgesehen 
davon bewirkt aber die Plebiszittheorie vielfach in ihrer praktischen Aus- 
führung auch eine Gefahr für die persönliche Freiheit. — Dagegen beruht 
das Optionsinstitut auf juristisch zutreffenden Grundgedanken; der praktischen 
Verwertung desselben stellen sich keine Schwierigkeiten entgegen. Der Grund- 
gedanke der Optionsbefugnis verdankt seine Anerkennung dem 18. Jahrhundert !). 
Das Wesen des Optionsinstituts liegt darin, daß gegenüber der unabänderlichen 
und vom Willen der Einzelnen unabhängigen Tatsache der Gebietszession dem 
Einzelnen die Möglichkeit offen gelassen wird, sein Selbstbestimmungsrecht 
bezüglich der Staatsangehörigkeit geltend zu machen. Die Not, welche in der 
gewaltsamen Eroberung oder der ihr gleich wirkenden friedlichen Zession für 
die Individuen des dismembrierten Staatsgebietes liegt, findet in dem Options- 
institute ihre Korrektur. Dieses an die menschliche Freiheit anknüpfende 
Recht der Persönlichkeit trat ziemlich spät in das Bewußtsein der Staaten- 
gesellschaft, nach mancherlei Schwankungen trat es in der neuesten Zeit 2) auf, 
um in der Praxis der Staaten dauernde Stellung zu gewinnen. 
$ 99. Beschränkungen der Gebietshoheit. Staatsservituten?). I. Der 
Begriff der Servitut gehört dem Privatrecht an, er spielt aber auch im Staats- 
recht und Völkerrecht eine Rolle, publizistische Doktrin und Staatenpraxis 
operieren mit diesem Begriffe im Hinblick auf singuläre Rechtsverhältnisse der 
Staaten unter einander. Wird nun einerseits mit diesem Begriffe als einem 
feststehenden operiert, so gehen doch die Meinungen über das Wesen der 
Staatsservitut vielfach auseinander; es wird auch (aus juristischen und poli- 
tischen Gränden) die Zulässigkeit des Servitutsrechts im Völkerrecht in Abrede 
  
1) Vgl. Stoerk a. a. O. (Abschn. I u. II) über die Geschichte des Optionsinstituts und der 
Plebiszittheorie. 
2) Züricher Frieden 1859, Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864, Frankfurter Frieden 
vom 12. Mai 1871 und Zusatzvertrag vom 11. Dezember desselben Jahres usw. 
9) Hauptwerk: Clauß, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten (1894). Heffter- 
Geffcken$ 43; v. Holtzendorff, HHI S. 242ff., Bulmorincq, H 289ff.; F. v. Martens 
I S. 364ff.; Hartmann 179ff.; Gareis $ 71; Lewis in v. Holtzendorffs Rechtslex. e. v. 
„Staatsservituten“ ; Brie in v. Stongel’s Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts e. v. 
„Staatsservituten“; Rivier, Lehrb. 8. 192ff.; v. Liszt, $$ 8, 19. — Laband, Staatsrecht I 
(2. Aufl.) S. 186; Hänel, Staatsrecht I S. 538; Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbin- 
dungen S. 54ff.; Phillimore, I, $8$ 281 sq.; Travers Twiss, I, $ 245; Oppenheim I], 
$$ 203 sq.; Pradier-Fodör&, II, Nr. 834 sq.; Bonfils, Nr. 340 sq.; Rivier, Principes I, 
296 sq.; Fiore I, 8$ 380 sq.; Fabres, Des servitudes dans le droit international (1901).
	        
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