Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$4. Positivität des Völkerrechts. 25 
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Völkerrechts im Allgemeinen im Widerspruche steht, wird nicht selten durch 
diplomatische Akte anderer Mächte, in denen der völkerrechtliche Standpunkt 
in betreffenden Fragen zu bestimmtem Ausdruck kommt, mit Erfolg in Bahnen 
gelenkt, die dem internationalen Interesse entsprechen; damit wird die Rechts- 
störung beseitigt oder ihr wirksam vorgebeugt. Der Sache nach vollzieht 
sich auch hier eine Verstärkung der Motive legalen Verhaltens und kommt 
in derartigen Vorgängen die Autorität und Macht der internationalen Rechts- 
gemeinschaft zu wirksamer Geltung. 
Was die Zwangsreaktion selbst betrifft, so tritt sie auch im Völker- 
recht erst gegenüber wirklichem Unrecht oder einer Interessengefährdung in 
Funktion. !) Sie gestaltet sich verschieden, je nachdem das Unrecht von einem 
Einzelnen oder von einem Staate ausgeht 2); so ist gegen den rechtsverletzen- 
den Staat die Anwendung von Strafzwang im technischen Sinne des Worts 
ausgeschlossen.?) Im allgemeinen sind eben alle jene Formen und Mittel der 
Zwangsreaktion im Völkerrecht unanwendbar, welche nach der Natur der 
Gemeinschaft souveräner Staaten von vornherein als ausgeschlossen anzusehen 
sind.) Die spezifische Form der Zwangsreaktion im Völkerrecht ist die 
Selbsthilfe, das äußerste internationale Zwangsmittel der Krieg. Auf diese 
Form der Gewaltübung ist das Völkerrecht hingewiesen, einmal durch die 
Natur der internationalen Gemeinschaft, die eine Organisation von Macht- 
mitteln zum Zwecke des Rechtsschutzes nach Art der nationalen Rechtsschutz- 
einrichtungen nicht kennt, sodann durch den Umstand, daß die Interessen der 
internationalen Rechtssubjekte vielfach nicht die Gestalt. subjektiver Rechte 
annehmen 5), deren Entstehung und Bestand auf bestimmte Sätze des ob- 
jektiven Rechts zurückführbar wäre; endlich entspricht die Verletzung be- 
treffender Interessen vielfach gar nicht jenen Voraussetzungen, an welche das 
nationale Recht den Eintritt des Rechtszwangs als Folge des Unrechts knüpfen 
muß. Während im nationalen Recht die Übertretung von Rechtsvorschriften 
und die Verletzung von rechtlich geschützten Interessen infolge klar erkenn- 
barer Beziehung betreffender Tatbestände 6) zum objektiven Recht und zumeist 
  
ı) Dieser Satz ergibt sich natürlich nur im Hinblick auf die Regelerscheinungen des 
Lebens der zivilisierten Völker. Allerdings kennt auch die Geschichte der neueren und 
neucsten Zeit Fälle, in denen ohne einen rechtlich faßbaren Grund Gewalt geübt wurde. 
2) Vgl. Bergbohm a. a. O. S. 36, 37: „Der Einzelne zieht durch seine rechtswidrige 
Handlung Rechtsfolgen herbei, die im Völkerrecht gar nicht andere sind, als in sonstigen 
Rechtsgebieten: Ersatz, Konfiskation, Ehrenerklärung, Strafe u. s. w.; der verletzende Staat, 
als Ganzes, provoziert andere Gegenwirkungen, welche freilich nicht in den hergebrachten 
und beschränkten Kategorien der Gegenwirkungen des bürgerlichen Rechts unterzubringen 
sind...“ — Vgl auch F. v. Martens IS. 10. 
3) In uneigentlichem Sinne mag man die Nachteile, die als Folgen der Selbsthilfe (in 
ihren verschiedenen Formen: der Retorsion, der Repressalion, des Kriegs) des verletzten 
Staats den rechtsverletzenden Staat treffen, als „Strafe“ oder „Züchtigung“ bezeichnen. Es ist 
durchaus zutreffend, wenn Calvo I p. 157 im Hinblick auf die vielfach aufgeworfene Frage, 
ob ein Stast bestraft werden könne, bemerkt: „Cette question . . . ne repose en quelque 
sorte que sur la valeur d’un mot... .* 
4) Vgl. das oben S. 22 Gcsagte. 
5) Vgl. Bergbohm a. a. 0. S 39, 40. 6) Siche oben 3. 21, 22.
	        
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