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der Staatsangehörigkeit bei der Geburt. Sieht man von den Aus-
nahmefällen der Heimatlosigkeit ab, so ist im Bereich der staatlich organisierten
Verbände für jeden Menschen die Staatsangehörigkeit bei der Geburt be-
gründet und zwar entweder durch Abstammung (Filiation, jus sanguinis),
so daß eheliche Kinder der Staatsangehörigkeit des Vaters, uneheliche jener
der Mutter folgen, oder es entscheidet die Geburt im Inlande (jus soli,
Prinzip der Territorialität). Zur ausschließlichen Geltung ist das jus sanguinis
nur in Deutschland, Österreich, Ungarn, Schweden und in den deutschen
Kantonen der Schweiz gelangt; in anderen Ländern ist neben dem jus sanguinis
auch das jus soli (in verschiedenem Umfang) anerkannt !): der im Lande Ge-
borene erwirbt die Staatsangehörigkeit ipso jure und definitiv?) oder er kann
nach erlangter Großjährigkeit für die Staatsangehörigkeit seiner Eltern optieren,
oder es wird ihm die Staatsangehörigkeit belassen, aber zugleich das Recht
auf Verleihung der Staatsangehörigkeit im Geburtslande vorbehalten. In Eng-
land wurde erst durch die Naturalisationsakte vom 12. Mai 1870 eine Modi-
fikation durch Statuierung eines Verzichtsrechts der in England geborenen
Kinder von Ausländern auf die englische Staatsangehörigkeit geschaffen. In
Nordamerika behauptete das jus soli ausschließliche Geltung bis zu dem Ge-
setze vom 10. Februar 1855. In Frankreich verließ der Code eivil das bis
dahin ausschließlich maßgebende jus soli?\). Dem in Frankreich geborenen
Kinde eines fremden Vaters wurde das Recht, die französische Staatsangehörig-
keit (unter gewissen Voraussetzungen) zu reklamieren, eingeräumt. Die Ge-
setze von 1851 und 1874 hatten das Reklamationsrecht französischer Staats-
angehörigkeit in ein Recht der Option für die angestammte Heimat für den
Fall verwandelt, daß die Geburt auf französischem Boden sich in zwei Gene-
rationen wiederholte). Populationspolitische Erwägungen haben zur Aufnahme
eines neuen Rechtssatzes im Art. 8 Abs. 3 Code civil geführt; hiernach ist
Franzose tout individu ne en France d’un &tranger qui lui-m&me y est ne?°).
Populationspolitische Gesichtspunkte sind für die ausschließliche Geltung des
jus soli in den südamerikanischen Staaten maßgebend.
Jedenfalls gebührt dem Abstammungsprinzip gegenüber dem jus soli der
Vorzug, denn es entspricht der natürlichen und ethischen Bedeutung des
Familienverbands für das Volk und der Organisation der Individuen und
Familien in dem politischen Volksverband. Allein während nach dem jus soli
die Tatsache der Geburt in dem Lande eine feste Grundlage für die Be-
nalite & I’Institut de droit international (1897); Hall, $$ 67 sq.; Westlake I 213sq.; Hal-
leck, I, 402 sq.; Dicey, Conflict of Laws (1896) 173 sq.; Oppenheim I, 8$ 297 sq.
1) Vgl. Näheres bei v. Martitz, Annalen 1$75, 1133.
2) Partikularrechtliche Modifikation dieses Grundsatzes ist die Forderung, daß die
Eltern in Lande domiziliert oder daß sie gleichfalls hier geboren seien (v. Martitz a.a.0...
3) Die ursprüngliche Fassung des Art. 9 Code civil lautete noch im Sinne des alten
Rechts : Tout individu n& en France est Francais.
4) Siche v. Martitz, Annalen 1875, 1134. Siche daselbst auch die Angaben über die
Verbreitung des Reklamationsrechts in den Ländern französischen Rechts.
5) Das Gesetz vom 22. Juli 1893 modifiziert die Wirkungen dicses Grundsatzes. Näh.
bei Weiss, Manuel 245.