$ 114. Schutzanspruch der Staatsangehörigen ctc. 361
heimatlichen Regierung besteht nicht. Die Wahrung und der Schutz der Inter-
essen der Staatsangehörigen erfolgt vielmehr hier durch die pflichtmäßige
Erfüllung der Staatsaufgabe. Die Anerkennung dieser Pflicht des
Staats zum Schutz seiner Staatsangehörigen und die internationalrechtliche
Zulässigkeit betreffender Aktionen zum Zwecke der Erfüllung der Schutzpflicht
ist mit der Tatsache des internationalen Verkehrs und dessen Bedeutung als
Grundlage rechtlich geordneter Gemeinschaft der Staaten untereinander gegeben.
Da aber im Bereich der internationalen Gemeinschaft der Fremde kraft Frremden-
rechts gegen Verletzungen, die nicht von den Organen des Aufenthaltsstaats
verursacht worden sind, in erster Reihe den Schutz des Aufenthaltsstaats genießt
bezw. in Anspruch nelımen darf, so ist die Schutzpflicht des Heimatsstaats nur eine
subsidiäre. So sollen z. B. nach dem deutschen Freundschaftsvertrage mit
Kolumbien vom 23. Juli 1892 (RGB. 1894 S. 471) die beiderseitigen diploma-
tischen Agenten aus Anlab der Rechtsansprüche oder Beschwerden von Privat-
personen nicht in Angelegenheiten eingreifen, welche dem Bereiche der bürger-
lichen oder Strafrechtspflege oder der Entscheidung im Verwaltungswege an-
gehören, es sei denn, daß es sich um Rechtsverweigerung, um ungewölinliche
oder ungesetzliche Reclıtsverzögerung oder um Nichtvollstreckung eines richter-
lichen Urteils handelt, oder endlich, daß nach Erschöpfung der gesetzlichen
Rechtsmittel eine klare Verletzung der zwischen den beiden Vertragsstaaten
bestehenden Verträge oder der von den gesitteten Nationen allgemein aner-
kannten Bestimmungen des Völkerrechts oder des internationalen Privatı'echts
vorliegen sollte. Verweigert der Aufenthaltsstaat den Rechtsschutz oder ist
die Verletzung der Interessen des -Staatsangehörigen durch das Verhalten der
Organe des Aufenthaltsstaats verursacht (Verweigerung und Verschleppung
der Justiz seitens der Gerichte, Verweigerung der Abhilfe seitens der Ver-
waltungsbehörden, Verletzung von Verträgen und der Normen des Völkerrechts) !),
so finden die Mittel der gütlichen, eventuell gewaltsamen Austragung inter-
nationaler Streitfälle Anwendung.
$ 114. Schutzanspruch der Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf
den Aufenthalt im Ausland. Anlaß zur Inanspruchnahme der heimatlichen
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1) Im Jahre 1867 unternahm England einen Feldzug gegen Abessinien wegen rechts-
widriger Gefangensetzung mehrerer Engländer. — Im Jahre 18596 hatte Belgien einen ong-
lischen Staatsangehörigen (namens Ben Tillet) ausgewiesen, weil dieser in Antwerpen die
dortigen Dockarbeiter aufzuwiegeln versuchte. Der Streitfall wurde auf schiedsgerichtlichem
Wege erledigt (Schiedsrichter der französische Generaladvokat A. Desjardins). — Im Jahre
1597 wurden in China zwei deutsche Missionare ermordet. Deutschland war veranlaßt, eine
Flottenkundgebung bei Kiautschou zu veranstalten. Im weiteren Verlauf der Angelegen-
heit wurde (Anfangs des Jahres 1895) Kiautschou Deutschland pachtweise überlassen. —
Die im Jahre 1900 in China gegen die Fremden und Gesandten europäischer Mächte verübten
Greueltaten führten zur bewaffneten Intervention der europäischen Großmächte, der nord-
amerikanischen Union und Japans (Eroberung von Peking). — Über den Fall Cerruti siche
insbesondere Paul Bureau, Le Conflit Italo-Colombien (Affaire Cerruti), la condition des
Etrangers en droit international public et les lacunes de la Proccdure arbitrale internationale
(1599, Im Jahre 1885 konfiszierte die kulumbische Regierung das Vermögen eines in
Kolumbien domizilierenden ltalieners namens Cerruti. Die Angelegenheit führte zu eineın
14 Jahre lang dauernden Streitfall zwischen den beteiligten Mächten.