372 Siebentes Buch. Gemeinsame Wirksamkeit der Staaten etc. 8 11%.
der zivilisierten Staaten zweifellos einer intensiveren weiteren Ausbildung
entgegengeht. Die logischen Konsequenzen des abstrakten und formalen Begriffs
der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten sind eben im heutigen
Völkerverkehr durch das immer mehr sich geltend machende Solidaritäts-
bewußtsein und das damit gegebene Bewußtsein internationaler Verpflichtung
vielfach eingeschränkt. Die Gesamtentwicklung des internationalen Lebens ist
unstreitig auf eine Vermehrung der internationalen Pflichten der Kulturstaaten
gerichtet. Die Gemeinschaft dieser Staaten würde nur unvollständig ihre
historische Mission erfüllen, wenn die Einzelstaaten einem nüchternen Formalismus
folgend ihre verwaltende Tätigkeit auf die formellen Konsequenzen der Einzel-
souveränetät beschränken wollten '). Wir sehen vielmehr in unserer Zeit, wie
ohne Schädigung der Einzelsouveränetät die Kräfte der zivilisierten Staaten
in ihren kollektiven Leistungen sich auf so vielen Gebieten ruhmreich entfalten.
Der Vorteil, der aus dieser Wirksamkeit der internationalen Gemeinschaft für
jeden Einzelstaat entspringt, überwiegt die Nachteile, welche die Beschränkung
der Einzelsouveränetät mit sich zu bringen scheint; es bricht sich immer mehr die
Erkenntnis Bahn, daß der Staat seiner nationalen Aufgabe in vielen Richtungen
nur durch Anerkennung der Forderungen des Staatszwecks auch im Bereich
der internationalen Gemeinschaft gerecht werden kann.
& 118. I. Die Gesetzgebung: 1. Auf dem Gebiete des Privatrechts.
A.) Das internationale Privatrecht. Je zahlreicher und intensiver
infolge der Steigerung des Verkehrs die rechtlichen Beziehungen der Privat-
personen von Staat zu Staat werden, desto fühlbarer treten die Verschieden-
heiten der Privatrechtsordnungen der Einzelstaaten hervor. Es ist daher be-
greiflich, daß schon im Hinblick auf die Schwierigkeiten und Nachteile, die
mit dieser Verschiedenheit der Gesetzgebungen verknüpft sind, der Gedanke
einer gleichmäßigen Regelung wichtiger Teile des Privatrechts sich geltend
machen mußte. Vor allem trat das Bedürfnis hervor, die bezüglich eines
konkreten Privatrechtsverhältnisses aus der Verschiedenheit der konkurrierenden
Gesetzgebungen entspringende Kollision der Gesetze durch gleichmäßige
Kollisionsnormen zu beseitigen, denn die Verschiedenheit der nationalen
Kollisionsnormen schließt vielfach einesachgemäße Entscheidung deseinzelnen
Rechtsfalls aus, während doch die durch engeren Verkehr mit einander ver-
bundenen Staaten ein gleichmäßiges Interesse daran haben, daß ihre
Rechtspflege den Parteien eine durchaus sachgemäße Rechtsprechung gewähr-
leiste. Die Einzelverträge, die bis in die Neuzeit mit Bezug auf Gegen-
stände des Privatrechts abgeschlossen wurden, enthalten nur zu geringem Teil
Regeln über die Abgrenzung des Anwendungsgebiets der verschiedenen Privat-
rechtsordnungen untereinander. Vorwiegend beschäftigen sie sich mit Vor-
schriften über die Nachlaßbehandlung, die Bestellung von Vormundschaften,
gegenseitige Mitteilung standesamtlicher Akte, Ausstellung diplomatischer Be-
scheinigungen über Eheschließungen; einzelne Verträge regeln auch die Rechts-
1) Eine energische Betonung des Prinzips der Gemeinschaft als Prinzip des Völker-
rechts kommt in den bemerkenswerten Ausführungen von Nippold, Die Fortbildung u.s. w.
53 ff. zum Ausdruck.