$ 129. Fortsetzung. Grenzen der Auslieferungspflicht. 397
der ersuchte Staat nach seinem Recht zu beurteilen. Im Zusammenhange
mit der heute üblichen individuellen Aufzählung der Auslieferungsdelikte steht
auch die Forderung, daß die Handlung unter einen dieser Deliktstatbestände
subsumierbar ist. Die Verträge erstrecken die Auslieferungspflicht auch auf
Fälle des Versuchs!) und der Mitschuld, wenn Versuch und Mitschuld
nach den Gesetzen beider Staaten strafbar sind bezw. sonstige Voraussetzungen
der Behandlung des Falles als Auslieferungsdelikt (Strafhöhe) zutreffen.
Ill. Derzeit ist (abgesehen von einigen älteren Kartellen) Auslieferung
ausgeschlossen bei Verbrechen und Vergehen gegen militärische Pflichten,
Desertion und Nichterfüllung der Wehrpflicht, da hier zweifellos teilweise
auch politische Momente eine Rolle spielen. Dagegen werden auf Grund von
zahlreichen Verträgen entlaufene Matrosen von Handelsschiffen (auch Kriegs-
schiffen) auf Grund einer Requisition des Konsuls ausgeliefert 2). Ferner findet
keine Auslieferung statt bei Steuer- und Zollkontraventionen, da hier
die Voraussetzung eines solidarischen Interesses der Staaten an der Bekämpfung
dieser Delikte nicht vorliegt ?).
IV. Anlaß zu theoretischen Kontroversen und praktischen Schwierigkeiten
auf dem Gebiete der Vereinbarung von Auslieferungsverträgen geben in neuerer
Zeit die politischen Delikte, denen (im Gegensatze zur älteren Zeit) nament-
lich durch die Vereinbarungen Belgiens und Frankreichs (1834) eine Ausnahme-
stellung im Auslieferungsverkehr vindiziert wurde.*) Diese Ausnahme ist keines-
—— m nn
1) Über Enumerations- und Eliminationsprinzip siehe v. Martitz, Rechtshilfe II 33 ff.
u.2.20.
2) Siehe im ganzen darüber Perels, Auslieferung desertierter Schiffsmannschaft (1853).
3) Eine singuläre Vereinbarung ist das Zolikartell zwischen dem Deutschen Reich
und Österreich-Ungarn vom 6. Dezember 1591. Über das Bedürfnis von Vereinbarungen
über gegenseitige Unterdrückung des Schleichhandels unter Nachbarstaaten siche v. Bar,
Lehrb. 305, 3:6.
4) Lammasch, Das Recht der Auslieferung wegen politischer Verbrechen (1881);
HH IUl 4s5 ff.; v. Martitz, Rechtshilfe I 464, II 130, 250, 370 und a a. O.: v. Bar, Lelırb.
306 ff.; Renault, Des crimes politiqucs en matiero d’extradition. — Verhandlungen des In-
stituts für intern. Recht Annuaire Il. cc., insbesondere über die Oxforder Regeln, Art. 13
bis 15. Art. 13: L’extradition ne peut avoir lieu pour faits politiques. — Art. 14: L’Etat
requis apprecie souverainement, d’apr&s les circonstances, si le fait & raison duquel l'extradi-
tion est r&clamee, a un caractöre politique. Dans cette appreciation, il doit s’inspirer des deux
idees suivantes: a) Les faits qui r&unissent tous les caractöres de crimes de droit commun
(assassinats, incendies, vols), ne doivent pas Etre except£s de l’extradition & raison seulemcnt
de l’iotention politique de leurs auteurs; b) pour apprecier les faits cummis au Cours d’une
rebellion politique, d’une insurrection, ou d’une gucrre civile, il faut se demander sils seraient
ou non excuses par les usages de la guerre. — Art. 15: En tout cas, l'extradition pour crime
ayant tout & la fois le caractere de crime politique et de crime de droit commun ne devra
&tre accord&e que si l’Etat requerant donne l’assurance que l’extrad& no sera pas juge par des
tribunaux d’exception. Auf Anregung A. Rolin’s wurde auf Grund einer eingehenden Ver-
handlung (v. Bar, Desjardins, Feraud-Giraud, Lammasch und Weiss) eine revidierte
Fassung der Artt. 13 und 14 der Oxforder Regeln beschlossen: L’extradition ne peut &tre ad-
mise pour crimes ou delits purement politiques. Elle ne sera pas admısce non plus pour in-
fractions mixtes ou connexes & des crimes ou delits politiques, aussi appellees delits
politiques rtlatifs, & moins toutefois quiil ne s’agisse des crimes les plus graves au point
de vue de la morale et du droit comnıun, tels que l’assassinat, le meurtre, l’empoisonnement.