$ 132. Die Wohlfahrtspflege. Die religiösen Interessen. 401
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Weltanschauung war ein die Nationen einigendes geistiges Band geschaffen,
zugleich aber auch eine der wichtigsten Voraussetzungen der Ausbildung der
internationalen Gemeinschaft und des Völkerrechts gegeben. Die Kirchen-
spaltungen hatten zur Schaffung politischer Zentren geführt, die sich die
Wahrung der Interessen der Angehörigen betreffender Konfessionen vindizierten;
anderseits mußte es der Einfluß des Staats auf die Regelung der konfessionellen
Verhältnisse mit sich bringen, daß die konfessionelle Gleichberechtigung der
Untertanen und die Freiheit des Glaubens und der Religionsübung der Fremden
vielfach mißachtet und verletzt wurden. Damit trat aber auch die Möglichkeit
von Tatbeständen hervor, die bezüglich eines eminent internationalen Interesses
zu internationalen Aktionen der Mächte Anlaß gab. Diese Anlässe sind nun
allerdings in neuester Zeit unter dem Einfluß einer gleichmäßigen Anerkennung
der Freiheit des Glaubens und der Religionsübung im Bereich der zivilisierten
christlichen Staaten auf ein Minimum reduziert; der christlichen Staaten-
gemeinschaft verbleibt aber noch die Aufgabe, gegenüber den Völkern anderer
Zivilisation und religiöser Weltanschauung in Folge des stets zunehmenden
Verkehrs mit jenen Völkern die religiösen Interessen ihrer christlichen Unter-
tanen zu schützen und durch entsprechende internationale Mittel dauernd zu
gewährleisten. !)
II. Die erste internationale Aktion der Staaten in der wichtigen Frage
der Gleichberechtigung der christlichen Konfessionen ist der westphälische
Friedensvertrag (1648). Seither kam es zu Vereinbarungen (in Friedens-
verträgen — bei Gebietszessionen —, Niederlassungsverträgen, aber auch in
Handels-, Schiffahrts- und Bündnisverträgen und in selbständigen Verträgen),
durch welche sich die Kontrahenten für ihre Gebiete verpflichteten, gegenseitig
ihren Untertanen Freiheit des Glaubens und Kultes zu gewähren; 2) auch erwirbt
einer der Kontrahenten das Recht der Fürsprache für den Fall, daß die
Regierungshandlungen u. s. w. des anderen Kontrahenten gegen die religiösen
Interessen der eigenen Untertanen gerichtet sein sollten.?) Neuestens sorgten
die europäischen Mächte im Berliner Vertrag (1878) für die Wahrung der
religiösen Freiheit in den unabhängig erklärten Balkanstaaten, indem die
Anerkennung der Souveränetät dieser Staaten geradezu von der Übernahme
der Pflicht zur gesetzlichen Wahrung jenes Grundsatzes abhängig gemacht
wurde.
1) Die eingebendo Untersuchung von F. v. Martens a. a. O. zerlegt den Stoff an der
Hand dieser Unterscheidung der Beziehungen der christlichen Völker unter einander und zu
den nichtchristlichen Völkern.
2) Russisch-österreichischer Handelsvertrag 1785.
3) Wichtigere Verträge, die sich auch mit der Regelung religiöser Interessen befaßten,
sind der Frieden von Oliva (1660), in welchem sich Polen Schweden gegenüber verpflichtet,
den Orthodoxen, Protestanten und Unitariern die gleichen Rechte wie den Römisch- und
Griechisch-Katholischen einzuräumen. Im Frieden von Breslau (1732) verpflichtet sich Preußen,
die konfessionellen Rechte der in den zedierten Teilen Schlesiens ansässigen Katholiken zu
achten. Im Versailler Vertrag (1783) verspricht England Religionsfreiheit für die Bevölkerung
des zedierten Kanada. Der Frieden von Nystädt (1721) sichert den Bewohnern der Ostsee-
provinzen, jener von Frederiksham (1809) den Bewohnern von Finnland den Schutz ihrer
konfcssionellen Rechte.
Ullmann, Völkerrecht. 26