430 $ 148.
Achtes Buch.
Die internationalen Streitigkeiten und deren Erledigung.
Das rechtliche Verfahren. Die Selbsthilfe.
$ 148. Die internationalen Streitigkeiten '., Konflikte zwischen
Völkerechtssubjekten sind nicht durchweg gleichartig mit den Konflikten der
Rechtssubjekte, deren Austragung in der nationalen Rechtsordnung heute den
staatlichen Gerichten bezw. anderen mit Jurisdiktionsrecht ausgestatteten Be-
hörden vorbehalten ist. Eine Vergleichung der beiden Gruppen von Konflikten
läßt die Eigenart der internationalen Konflikte und ebenso auch die Eigen-
art ihrer Austragung erkennen. Die Anwendung der Rechtsmittel der
nationalen Rechtsordnung, insbesondere auf dem Gebiete des Privatrechts,
Strafrechts und Verwaltungsrechts, knüpft allemal an konkrete Tatbestände
an, im Hinblick auf welche eine Kollision rechtlich anerkannter Interessen
behauptet wird. Die richterliche Entscheidung ergeht immer im Wege der
Anwendung des geltenden Rechts auf den konkreten Fall und bezweckt die
definitive Erledigung des Streites. Konflikte unter Staaten entstehen gleich-
falls aus Kollisionen von Interessen; allein in vielen Fällen sind sie das Er-
gebnis eines traditionellen und bisher latent gebliebenen Gegensatzes der be-
teiligten Völker, der sich in einer bestimmten Epoche im Bereich der Betäti-
gung der Staatspersönlichkeit in nationaler oder politischer Richtung geltend
macht. Das Bewußtsein dieses Gegensatzes und die tatsächliche oder ver-
meintliche Bedeutung desselben wirken motivierend auf das praktische Ver-
halten, das in letzter Reihe zur Geltendmachung der Persönlichkeit als Macht-
element innerhalb der internationalen Gemeinschaft führen kann. Bei derlei
Interessengegensätzen treten vielfach rechtliche, ja selbst moralische Anschau-
ungen in den Hintergrund; es sind insbesondere tatsächliche Vorgänge, die
einer rechtlichen Beurteilung fähig wären, nicht erkennbar. Die zuweilen
erkennbare Ursache des Konflikts weist auf die Herrschaft von Anschauungen
1) Kaltenborn, Zur Lehre von den internationalen Rechtsmitteln. Ztschr. d. ges.
Staatsw. XVII; Wurm in Rotteck u. Welkers Staatslexikon; Heffter $$ 105-107; Bul-
merincg HHIV, 1ff.; Travers Twiss, II, 1sq.; Rivier II $ 57, Pradier-Foder& IV
p. 2550—2583; Calvo III SS 1670—1671; v. Martens II, $$ 101—102; Gareis $ 76,
Oppenheim II $ 1; Wagner, Zur Lehre von den Streiterledigungsmitteln des Völker-
rechts 1900. Neucstens Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens u. s. w. S. 127 ff.