432 Die internationalen Streitigkeiten und deren Erledigung etc. $ 148.
wäre, sei es tatsächlich oder vermeintlich, oder daß ein Rechtsanspruch wenigstens vorge-
schützt wird. Daher bieten auch sog. Interessenkonflikte in unserer Zeit eine Handhabe
für die juristische Betrachtung und verdienen auch den Namen Rechtsstreitigkeiten:
ferner treten jene Interessenkonflikte gleichfalls in der Form von Rechtsstreitigkeiten auf.
Mögen daher derlei Konflikte immerhin einen gemischten Charakter an sich tragen — sie
seien doch immer Rechtsstreitigkeiten. Der Grund davon liege in der Verschiebung
des Schwerpunkts der internationalen Interessen, die heute wesentlich Verkehrsintereseen und
nicht politische Interessen seien. — Allein, es scheint diese Interessenverschiebung doch
zunächst nur ein quantitatives Zurücktreten der rein politischen Streitfälle zur Folge zu
haben. Im ganzen bleibt doch noch der Unterschied von rechtlichen und politischen Kon-
flikten bestehen: jene sind solche, bei denen der Rechtspunkt sachlich das entscheidende
Moment bildet, diese teils solche, bei denen der Rechtspunkt nur formell eine Rolle spielt,
teils solche, welche ale reine Interessenkonflikte auftreten. Im übrigen ist es richtig,
daß heute der Rechtsstreit die Regel bildet; ebenso darf nicht übersehen werden, daß die
obige Unterscheidung nicht immer scharf durchgeführt werden kann, da in rechtlichen Streit-
fällen nicht selten politische Momente eine Rolle spielen; ferner kommt es vor, daß ein
latenter Gegensatz, aus dem sich ein Interessenkonflikt entwickelt, sich schließlich in einer
konkreten Rechtsverletzung zuspitzt und letztere den Anlaß des Konfliktes bietet.!) — Die
Frage der friedlichen Erledigung von Streitfällen berührt selbstverständlich die Frage nach
der Natur der internationalen Streitfälle. Es ist daher erklärlich, daß die von den HK 1899
und 1907 (8. oben S. 81, 82) unternommene Ausgestaltung des rechtlichen Verfahrens in inter-
nationalen Streitfällen unter dem Einfluß von Erörterungen über jene Frage steht; so liegt
dem Art. 38 (vormals Art 16) FA und den Verhandlungen über das Schiedswesen im ganzen
zweifellos die Unterscheidung von rechtlichen und politischen Konflikten zu Grunde.
Eine andere Gruppierung der Völkerstreitigkeiten mit Rücksicht auf die den Kon-
flikt zunächst veranlassende Ursache ist gleichfalls schwer durchführbar; die Ursachen
können eben in der Gesamtheit der Verhältnisse des nationalen, politischen und ökonomischen
Lebens der Völker liegen; vielfach kann nur die Wirkung latenter Ursachen in dem tradi-
tionellen oder plötzlich (durch Rivalität) hervortretenden Antagonismus zweier Völker kon-
statiert werden, während die Erkenntnis der Ursache selbst oft nur auf eine schwankende Be-
urteilung der Verhältnisse beschränkt bleibt. Für das Recht ist schließlich nur die Tat-
sache des Konflikts von entscheidender Bedeutung; Sache der Geschichte bleibt es, die
das Recht berührenden Vorgänge im Leben der Völker auf ihre wahren Ursachen zurück-
zuführen.
$ 149. Erledigung internationaler Streitfälle im allgemeinen. Der
Natur der internationalen Gemeinschaft entspricht es, daß Streitigkeiten in
letzter Reihe im Wege der Selbsthilfe erledigt werden. Allein, zivilisierte
Staaten erkennen es als ihre Pflicht, von den Mitteln der Selbsthilfe erst dann
Gebrauch zu machen, wenn es nicht gelungen ist, auf gütlichem Wege zum
Ziele zu gelangen, d. h. wegen erlittenen Unrechts oder unbilliger Be-
handlung Genugtuung und eventuell Ersatz verursachten Schadens zu er-
langen.
I, Auf gütlichem Wege kann ein Streit beigelegt werden 1. durch die
Verhandlung der beteiligten Staaten selbst. Das Ergebnis dieser
Verhandlung kann ein verschiedenes sein (s. nächsten 8). 2. Durch die Mit-
wirkung dritter Staaten und zwar a) durch deren gute Dienste (bons
offices), b) durch die Vermittlung (Mediation), 3) durch Schiedsspruch.
Der friedlichen Erledigung von Streitfällen dienen auch die Kongresse
und Konferenzen; im neuesten Recht tritt zu den Fällen der Mitwirkung
1) Vgl. auch Gareis, $ 76 (S. 214), Oppenheim II, $ 1.