8 151. Die rechtlichen Mittel der Erledigung von Streitfällen. 435
lichen Mittel (und sohin der Ablehnung der Selbsthilfe) in dem Maße durchzusetzen bestrebt
sind, als nicht außerordentliche Verhältnisse des einzelnen Streitfalls die friedliche Lösung aus.
schließen. Innerhalb dieses Gedankenganges bewegen sich die insbesondere für den Ausbau
des Schiedswesens bedeutsamen Verhandlungen der beiden Haager Konferenzen über den Um-
fang der Verwertung des sog. Obligatoriums in einem universellen Schiedsabkommen. Eine
praktisch wichtige Anerkennung fanden jenc leitenden Gedanken in dem Abkommen (II) der
HK 1907, betreffend die Beschränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von
Vertragsschulden ; dieses universelle Abkommen schafft für den Schuldnerstaat die Pflicht,
ein Anerbieten schiedsgerichtlicher Entscheidung anzunehmen und macht die Anwendung der
Selbsthilfe für den Gläubigerstaat abhängig von der Ablehnung jenes Anerbietens bezw. der
Nichtbeantwortung oder der Nichterfüllung der im Schiedsspruch anerkannten Zahlungspflicht.
— Die Anwendung der Selbsthilfe ist allemal ein Zeichen rudimentärer Anfänge bezw. eines
unvollkommenen Zustandes der sozialen Ordnung; die Verdrängung der Selbsthilfe in den
nationalen Rechtsordnungen ist durchaus das Ergebnis intensiver Ausgestaltung wirksamer
rechtlicher Mittel unparteiischer Lösung von Konflikten der Rechtssubjekte. Insofern
besteht allerdings eine Analogie zwischen der nationalen und internationalen Rechtsordnung,
als auch die letztere die möglichste Zurückdrängung der Selbsthilfe durch Ausgestaltung
des rechtlichen Verfahrens in Streitfällen zu bewirken sucht. Sofort tritt aber der
wesentliche Unterschied darin hervor, dal dieser Vorgang sich nur in der der Eigenart der
internationalen Gemeinschaft und des Völkerrechts eigentümlichen Weise vollziehen kann.
$ 151. I. Die rechtlichen Mittel der Erledigung von Streitfällen.
1. Die Verhandlungen der Streitteile. I. In der Institution des diplo-
matischen Verkehrs liegt offensichtlich nicht bloß ein bequemes Mittel, bei
Differenzen notwendige oder wünschenswerte Verhandlungen sofort einzuleiten
— sie fungiert vielmehr zugleich als zwingendes Motiv, jeden Zwischenfall zum
Gegenstand auch mündlicher Besprechung zu machen, an die sich leicht formelle
Verhandlungen der obersten Organe der beteiligten Staaten anknüpfen lassen.
Damit ist in erster Reihe der Boden gegeben, auf dem sich für die Staaten
die Möglichkeit der Lösung einer Differenz ergibt, welche die friedlichen Be-
ziehungen zu stören oder aufzuheben drohte. Diese Funktion des diplomatischen
Verkehrs erlangte mittelbar in unserer Zeit durch die HK gewissermaßen eine
solenne Sanktion, indem die Signatarmächte an der Spitze des FA (Art. 1) sich
einverstanden erklären, „alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen, um die
friedliche Erledigung der internationalen Streitfragen zu sichern“ !).
II. Das Ergebnis der Verhandlungen kommt entweder a) in der An-
erkennung des behaupteten Anspruchs des Gegners?), oder b) in einem Ver-
zicht auf den behaupteten Anspruch, oder c) in einem Vergleich im Sinne
ı) Diese Erklärung betrifft allerdings zunächst die Institute des bezeichneten Abkom-
mens; allein bei der notwendigen Abhängigkeit ihrer Anwendung im Staatenleben von der
intensivsten Pflege des diplomatischen Verkehrs und der Verwertung dieses Verkehrs für den
einzelnen Fall, unterliegt es keineın Zweifel, daß derselbe Geist, von dem die Schaffung jener
Institute beherrscht ist, notwendigerweise auch den diplomatischen Verkehr und die inter-
nationalen Verhandlungen beherrschen muß. Damit ist die Gefahr vermindert, daß inter-
nationale Streitfälle zu sufortigem Bruch der friedlichen Beziehungen der Staaten führen; in
deın Verhalten zivilisierter Staaten kommt dann auch die Überzeugung von der Notwendig-
keit zum Ausdruck, den Streitgegenstand einer loyalen Prüfung zu unterziehen und mit der
Bereitwilligkeit, das festgestellte Recht des Gegners anzuerkennen, für die definitive Erledi-
gung des Streitfalles sich zu entscheiden.
2) Zuweilen unter gleichzeitiger Protestation, um einem Präjudiz für künftige ähnliche
Fälle vorzubeugen.
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