$ 152. Die Mitwirkung dritter Staaten etc. 437
Die tatsächliche Lage der Sache ist die, daß die Streitteile entweder nicht geneigt sind, in
Verhandlungen zu treten oder die eingeleiteten Verhandlungen ohne ein befriedigendes Re-
sultat geblieben sind. Die guten Dienste bestehen daher in dem Bemühen der dritten Macht
eine Annäherung der Streitteile anzubahnen und sie zur Einleitung bezw. Wiederaufnahme
der Verhandlungen zu bewegen. Dabei werden die Ratschläge des dritten Staates teils als
Motiv der Anknüpfung der Verhandlungen, teils ale Grundlage für die Behandlung und even-
tuelle Erledigung des Streitfalls fungieren. Eine Beteiligung des dritten Staates an den Ver-
handlungen selbst findet nicht statt. — Die Vermittlung beruht nun auf denselben Er-
wägungen, wie die guten Dienste. Der Zweck ist gleichfalls die Herbeiführung eines Ein-
verständnisses der Streitteile. Nur ist die Vermittlung an die Voraussetzung geknüpft, daß
beide Streitteile sich über die Beteiligung eines Vermittlers und über den Staat oder die
Persönlichkeit, welche die Vermittlung durchzuführen hat, geeinigt haben, zugleich aber auch
der betreffende Staat oder die betreffende Persönlichkeit sich zur Annahnıce der Vermittlung
bereit erklärt hat. Ferner charakterisiert sich die Vermittlung dadurch, daß der Vermittler
in der Sache selbst Ratschläge erteilt, die Form seiner Mitwirkung aber darin besteht, daß er
an den zum Zwccke der Erledigung des Streitfalles eingeleiteten Verhandlungen unmittelbar
teilnimmt; indem ihm dadurch eine gewissermaßen leitende Stellung zukommt, vermag er mit
mehr Nachdruck aufzutreten und für die Erzielung eines brauchbaren Erfolges wirksamer
einzugreifen. ')
UL Die durch die HK geschaffene Rechtslage bedeutet in der vorliegenden
Materie eine Weiterbildung und Verallgemeinerung jener Erwägungen, die in
den Verhandlungen des Pariser Kongresses v. J. 1856 und in der Generalakte
der Berliner Konferenz v. J. 1885 zum Ausdruck kamen?).
Durch die Bestimmungen des FA wurden die guten Dienste und die Ver-
mittlung zu einer ständigen Institution des Völkerrechts gemacht’).
1) Nichtsdestoweniger führt die Haager Konferenz die guten Dienste und die Ver-
mittlung nebeneinander auf; die Normen der Art. 2—8 beziehen sich gleichmäßig auf beide
Institute.
2) Art. 8 des Pariser Vertrags vom 30. März 1856 schuf die Pflicht der Signatar-
mächte, im Falle eines Konflikts mit der Pforte, die Vermittlung einer anderen Signatar-
macht zu erbitten. Auf Antrag des englischen Bevollmächtigten Lord Clarendon hatten die
Kongreßmächte in dem Protokoll (23) vom 16. April 1656 den Wunsch ausgesprochen, daß
die Signatarmächte des Pariser Vertrages vom 30. März 1856 (überhaupt, also nicht bloß in
Streitigkeiten mit der Pforte), soweit es die Umstände gestatten, immer bevor sie zum
Kriege schreiten, die guten Dienste einer befreundeten Macht in Anspruch nehmen
mögen. Dieser Wunsch besitzt lediglich moralische Bedeutung und den Wert richtiger Er-
kenntnis der Aufgaben der internationalen Gemeinschaft. Der Grundgedanke dieses Wunsches
ist indessen nicht ohne praktische Bedeutung geblieben, u. z. vornehmlich in dem Sinne, daß
die angebotene Vermittlung von den Streitteilen angenommen wurde, so z. B. im Jahre 1866
nach der Schlacht bei Königgrätz (Vermittlung Napolcons Ill), 1867 in der Luxemburger
Angelegenheit (Vermittlung Rußlands), 1669 in dem Konflikte Griechenlands und der Türkei
(Vermittlung Preußens, Konferenz in Paris am 9. Januar 1869); im deutsch-französischen
Kriege von 1870/71 bot England seine guten Dienste an, die von Frankreich abgelehnt
wurden, aber auch von Preußen nicht angenommen worden wären. — In der Berliner Gceneral-
akte 1885 verpflichteten sich die Signatarmächte, ihre guten Dienste zur wirklichen
Neutralisierung des konventionellen Kongobeckens zu leisten, wenn ein Staat, der dort Hoheits-
rechte besitzt, in Krieg gerät. Außer diesem pflichtmäßigen Anerbieten kennt die
Kongoakte auch das pflichtmäßige Anrufen der guten Dienste, wenn die Signatarmächte
bezüglich oder innerhalb des Kongobeckens in Konflikt geraten: in solchen Fällen haben sie
die guten Dienste einer befreundeten Macht in Anspruch zu nehmen.
3) Dagegen liegt der Charakter der beiden oben angeführten internationalen Akte (ab-
geschen von dem im 23. Protokoll ausgesprochenen bloßen „Wunsch“) darin, daß die dort