8 154. Das Schiedswesen. 443
standen die Verhandlungen der HK 1907!) über die Einführung der obli-
gatorischen Schiedssprechung durch einen universellen Vertrag (Weltschieds-
vertrag) in engster Beziehung zu den rechtlichen Streitfällen 2).
III. 1. Die rechtliche Grundlage für die Entscheidung eines Streitfalles
durch Schiedsspruch ist der Schiedsvertrag (compromissum). Durch diesen
Vertrag verpflichten sich die Streitteile, den konkreten Streitfall der Ent-
scheidung durch frei gewählte Schiedsrichter zu unterziehen. Abgesehen
von den durch das neueste Recht geschaffenen Normen über das
Schiedswesen und insbesondere den Abschluß des Schiedsvertrags und dessen
Inhalt, entlıiält ein derartiger Vertrag (seiner allgemeinen Natur nach) die Be-
zeichnung des Gegenstandes, der Ansprüche der Streitteile und die Regeln
über das Verfahren. Enthält der Vertrag auch die materiellrechtlichen
Normen, die der Schiedsrichter anzuwenden hat), so liegt eine arbitratio vor;
ist es dagegen dem Schiedsrichter überlassen, die rechtlichen Grundsätze selbst
zu bestimmen, so hat der Spruch die Bedeutung eines arbitrium.
2. In neuerer Zeit wird vielfach in Handels- und Schiffahrtsverträgen,
Postverträgen, Konsularverträgen u. s. w. die sog. kompromissarische
Klausel aufgenommen; die Kontrahenten verpflichten sich von vornherein,
die Entscheidung von Streitigkeiten, die aus der Auslegung oder Anwendung
des Vertrages entstehen könnten ‘), durch ein Schiedsgericht herbeiführen zu
wollen. Es gehören hierher die von Italien, Belgien, der Schweiz und anderen
Staaten (neuestens auch vom Deutschen Reich) u. s. w. abgeschlossenen Handels-
verträge und Verträge anderer Art; von Kollektivverträgen kommen in Be-
tracht der Postvereinsvertrag’°), die Brüsseler Antisklavereiakte (2. Juli 1890),
der Vertrag über den Eisenbahnfrachtverkehr.
3. Einige Staaten haben in neuester Zeit (insbesondere seit 1882) die
Schiedsklausel verallgemeinert, indem sie in betreffenden Verträgen sich ver-
pflichteten, Streitigkeiten im allgemeinen und schlechthin oder bedingt, wenn
nämlich weder die Ehre noch die Unabhängigkeit des Staates in Frage steht,
dem Urteile von Schiedsrichtern zu unterstellen. Es sind dies die sog. all-
gemeinen oder permanenten Schiedsverträge (traites d’arbitrage per-
1) Der von der Kommission angenommene Text für ein obligatorisches Schiedsgericht
spricht von „Streitigkeiten juristischer Natur“, insbesondere solchen die sich auf die
Auslegung und Anwendung von Verträgen, und auf Geldforderungen für Schadenersatz be-
ziehen. — Über die Verhandlungen siehe Fried, Die zweite HK 39 ff.
2) Der Abschluß eines universellen Abkommens wurde abgelehnt: in der Schlußakte
vom 18. Okt. 1907 wurde jedoch neben der grundsätzlichen Anerkennung der obligatorischen
Schiedssprechung erklärt. daß gewisse Streitigkeiten, insbesondere solche über die Auslegung
und Anwendung internationaler Verträge, geeignet sind, der obligatorischen Schiedssprechung
ohne jede Einschränkung unterworfen zu werden.
3) Im Alabama-Fall einigten sich die Streitteile über drei Grundsätze (sog. Washing-
toner Regeln), welehe das Schiedsgericht anzuwenden hatte. S. den Wortlaut bei Fleisch-
mann 95.
4) Von Meurer „Verträge mit beschränkter Schiedsgerichtsklausel“ genannt; HFK 70 ff.
enthält eine Aufzählung dieser Verträge.
5) Neuestens in der Fassung vom 26. Mai 1906 (RGBi. v. 1907, S. 593).