Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 163. Die Selbsthilfe. Die Intervention. 461 
  
Reihe die Frage: wie läßt sich im Bereich der internationalen Rechtsordnung ein in der 
Praxis der Staaten so häufig vorkomnmender Vorgang in thesi rechtfertigen und damit 
der Intervention der Charakter eines mit dem Wesen des Völkerrechts mindestens verein- 
baren Instituts vindizieren? Da aber nicht jeder Interventionsfall in dem internationalen 
Rechtsbewußtsein und dem Urteil der Geschichte seine Sanktion gefunden hat, so drängt sich 
sofort die zweite, allerdings nur schwer in einer prinzipiell erschöpfenden Formel zu lösende 
Frage nach der exzeptioncellen Zulässigkeit auf. 
Was nun die erste Frage betrifft, so ist deren Beantwortung augenscheinlich nur durch 
die Würdigung der Eigenart der internationalen Rechtsordnung zu gewinnen, die den Völker- 
rechtssubjekten selbst zur Geltendmachung von rechtlichen Ansprüchen in letzter Reihe die 
Selbsthilfe zur Verfügung stell. Von der Selbsthilfe wird daher der Staat umso mehr dann 
Gebrauch machen dürfen, wenn jene tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, welche selbst 
in der nationalen Rechtsordnung an Eingriffe in eine fremde Reclıtssphäre keine rechtliche 
Wirkung knüpfen, nämlich in den Fällen des Notstands. Von diesen Fällen der Selbsthilfe 
sind nun in jeder Beziehung verschieden jene, die als Interventionsfälle gelten. Mag daher 
immerhin in den Interventionsfällen auf Seite des Intervenienten von einer Zwangslage be- 
züglich seiner Interessen gesprochen werden können, so fehlt ihr doch das spezifische Kri- 
terium des Notstands. Wären die Interventionsfälle identisch mit den Notstandsfällen, so 
wäre die praktische und theoretische Unterscheidung von Notstand und Intervention von 
vornherein unhaltbar.!ı Will man im Völkerrecht den im Strafrecht ausgebildeten Begriff 
des Notstands festhalten, so wird man im Auge behalten müssen, daß als völkerrechtliche Not- 
standsfälle nur jene in Betracht kommen können, in denen der Notstand nicht durch das be- 
sonders qualifizierte Verhalten eines anderen Staates verursacht worden ist. In den Inter- 
ventionsfällen sind es aber gerade das Verhalten eines Staates, politische Vorgänge in einem 
Staate, ein zwischen zwei Staaten schwebender Streitfall, die der Jntervenient als Ursache 
einer Gefahr für seine eigenen Interessen oder einer Schädigung dieser Interessen betrachtet. 
Die besondere Qualifikation des Verhaltens des Staates, gegen den interveniert wird, charak- 
terisiert sich dadurch, daß cs eine praktisch gefährdende oder schädigende Wirkung auf dıe 
Interessen des Intervenienten äußert. Positive Handlungen und Unterlassungen einer Regie- 
rung können formell rechtmäßige Vorgänge sein; ferner sind staatsrechtliche Veränderungen, 
hervorgerufen durch eine revolutionäre Partei, ein Tatbestand, der ebenso wie ein Streitfall 
zwischen zwei fremden Staaten für jeden dritten Staat eine fremde Angelegenheit bildet, die 
aber gleichwohl die Quelle einer Kollision der Interessen der beteiligten und nichtbeteiligten 
Staaten sein kann. Da nun der Schutz der Interessen infolge der Eigenart des Völkerrechts 
den Trägern bcetreffender Interessen in der Form der Selbsthilfe überlassen bleiben muß, so 
erscheint auch die Intervention, die praktisch auf den Schutz jener Interessen gerichtet ist, 
als ein Akt der Selbsthilfe. Er ist umso unentbehrlicher, weil die internationale Rechts- 
ordnung durch eine Beschränkung der Selbsthilfe auf die Verfolgung von Rechtsansprüchen 
die Existenz und die Interessen der einzelnen Mitglieder gegen den mit der Betätigung der 
freien Persönlichkeit der einzelnen Staaten nicht selten verknüpften Mißbrauch der Unab- 
hängigkeit schutzlos ließe. ?) 
Der Inhalt dieser Selbsthilfe besteht in der Anwendung kompulsiven Zwangs, die dem 
Interventionsbegehren eigentümlich ist. Die Anwendung physischen Zwanges (Verhängung 
  
1) Vgl. Heilborn, System $S. 357, 358: „Wäre die Intervention nur im Notstande statt- 
baft, so brauchten wir keine Interventionslehre . . . Die Intervention wäre nur eine der im 
Notstande unverbotenen Handlungen. Darauf hat schon Rotteck hingewiesen.“ Vgl. Rot- 
teck a. a. 0. S. 20 ff. So schr nun Heilborn Notstand und Intervention von einander 
sondert, so scheint er doch den Notstandsfall als den primären Interventionsfall aufzufassen, 
wenn er a. a. O. weiter sagt: „Ist nun dıe Intervention nicht nur dann zulässig, wenn ein 
Notstand vorliegt, so erscheint die Klarlegung der Fälle geboten, in welchen sonst noch inter- 
veniert werden darf.“ 
2) Heilborn, System 363: „Die Intervention soll .... verhüten, daß das summum jus 
zur summa injuria werde; zu dem Zweck ist sic dem Völkerrecht unentbehrlich.“
	        
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