& 165. Der Krieg. Begriff des Krieges. 465
Staaten gegen einander mit Gefahr für die völkerrechtliche Selbständigkeit
oder doch die Integrität (den Landbesitz) des Staates im Falle des Unter-
liegens. Der Zweck des Krieges ist die Geltendmachung oder Abwehr der
Geltendmachung von wirklichen oder vermeintlichen Rechtsansprüchen; Kriege
werden aber auch zum Zwecke der Lösung politischer Probleme innerhalb der
internationalen Gemeinschaft und zu anderen, eine rechtliche Seite nicht auf-
weisenden Zwecken geführte Für den Begriff des Krieges ist der
Zweck nicht entscheidend.
In der Geschichte der Menschheit ist der Krieg ursprünglich die im Vordergrund
stehende Form des Verkehrs oder der Berührung der im übrigen sich gegenseitig isolierenden
Völker und Staaten; er tritt zu allen Zeiten als außerordentliches und äußerstes Mittel be-
rechtigter und unberechtigter Geltendmachung der Volks- und Staatsinteressen auf; er bildet
aber zugleich eine, wie es scheint, unvermeidliche, in der Geschichte der Völker immer wie-
derkehrende Erscheinung, die auf den höheren Stufen der Zivilisation, welche die Beziehungen
der Völker und Staaten im ganzen zu einem Gegenstand der Rechtskultur (durch Schaffung
des Völkerrechts) erhoben hat, in den Bereich rechtlicher Anschauungen gestellt, im weiteren
Verlaufe der Entwicklung zum Gegenstande des Rechts geworden ist. Die in unseren Tagen
so lebhaft hervortretenden Bestrebungen zur Erhaltung des Friedens werden daher immer
mit den Grenzen des Erreichbaren zu rechnen und die völker- und individual-psychologischen
Faktoren, die gerade in dieser Materie die Geschichte der Völker, ihre Existenz- und Ent-
wicklungsbedigungen wesentlich beherrschen, nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Eine
Bestätigung des Gesagten liegt in der Behandlung der allen Ernstes bei der Einberufung der
Haager Konferenz im Jahre 1899 in Angriff genommenen Lösung des Friedensproblems. Ein
besonnener und chrlicher Versuch, rechtliche Garantien der Erhaltung des Friedens zu schaffen,
mußte gleichwohl mit Umständen und Eventualitäten des WVölkerlebens rechnen, welche
die Unvcrmeidlichkeit kriegerischen Zusammenstoßes überzeugend demonstrierten. Damit ist
aber das unermüdliche Streben nach Schaffung der möglichen Garantien der Erhaltung des
Friedens nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern gerade in unseren Tagen zu einer heiligen
Pflicht aller derer geworden, die auch für das Völkerrecht und die internationale Politik an
dem mit der Natur der Sache gegebenen Zusammenhang des Rechts und der Anforderungen
der Sittlichkeit festhalten. Mächtige Förderung findet solches Streben durch die oben be-
rührte geschichtliche Wandlung, welche die kriegerischen Konflikte der Völker im Laufe der
Neuzeit unter dem Einfluß der Idee und der Existenz eines Völkerrechts überhaupt durch-
gemacht haben. Der an die Existenz der Staaten und Völker greifende mächtige Vorgang
des Krieges hat sich allen Konsequenzen eines geläuterten internationalen Rechtsbewußtseins
und den Forderungen der Humanität untorzogen, allmählich angepaßt und damit dem Krieg
zivilisierter Völker einen ganz anderen Charakter gegeben; heute ist der Krieg Gegenstand
internationaler Normen geworden, wobei nicht vergessen werden darf, daß schon in ‘den
ältesten Epochen gewissermaßen instinktiv sittliche Anschauungen, religiöse Gebote und die
Sitte zur Anerkennung gewisser Maximen des Verhaltens beim Ausbruch eines Krieges, bei
der Kriegführung und mit Bezug auf die Beendigung des Krieges geführt hatten, so daß der
neueren Zeit wesentlich die rationelle Weiterentwicklung der hier malßgebenden Rechts-
gedanken vorbehalten blieb. Diese neueste Entwicklung der juristischen Gestaltung des
wichtigsten Lebensverhältnisses der Völker erfolgto nach einer Reihe bedeutsamer früheren
Versuche in den Beschlüssen der Haager Konferenzen der Jahre 1899, 1907.
II. Damit ist für den Bereich des Völkerrechts der zivilisierten Staaten
der juristische Charakter des Krieges als eines Rechtsverhältnisses ge-
geben. Die heute geltenden Normen regeln in erster Reihe die Beziehungen
Phillimore, Comm. III, $ 49 sq.; Travers Twiss, The law of nations II; Holl, Treatise
on intern. law (1884, 2.A.); Halleck, Elements of intern. law and law of war (Ed. von
Baker 1875) L. 439 sq., II, 159; Oppenheim II, $8 53 sq.; Westlake, Clapters 255 sp.
Ullmann, Völkorrecht. 30