40 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 38
Entstehung der Völkerrechtssätze charakterisiert, kommt in der Übung (Ge-
wohnheit, Herkommen) und in Verträgen der Völkerrechtssubjekte zum
Ausdruck. Im Anschluß an den Ausspruch des Modestinus in ]. 40 Dig.
De legibus (1,3): Omne jus aut consensus facit, aut necessitas constituit, aut
firmavit consuetudo wird die necessitas den bezeichneten formellen Quellen
von einigen Schriftstellern ') gleichgestellt; ferner wird auf Grund einer Unter-
scheidung von unmittelbaren und mittelbaren Quellen des Völkerrechts
zu den unmittelbaren neben der Gewohnheit die Anerkennung als Quelle
des Völkerrechts gerechnet. 2) Indessen „necessitas“ und „Anerkennung“ hängen
nicht so sehr mit der Form der Auslösung rechtlicher Gedanken in maß-
gebenden rechtsetzenden Akten der an der Bildung des positiven Rechts be-
teiligten Faktoren, als vielmehr mit den materiellen Voraussetzungen der Ent-
stehung von Rechtssätzen zusammen. Die mit der Vorstellung des Zwecks
betreffender Gemeinverhältnisse und der tatsächlichen Beschaffenheit der letzteren
sich verknüpfende Vorstellung der Notwendigkeit eines bestimmten Verhaltens
der Beteiligten löst in der weiteren Entwicklung dieses psychologischen Vor-
gangs jene Willensentscheidung aus, die in verschiedenen Formen zum Aus-
druck kommen kann: nämlich in der bewußten Setzung einer Regel als reclıt-
licher Norm des betreffenden Lebensverhältnisses (wie dies bei dem Gesetze
und im Völkerrecht bei den rechtsetzenden Verträgen der Fall ist), oder in
der tatsächlichen Beobachtung eines Verhaltens, in welchem die Vorstellung
der Notwendigkeit desselben ausgeprägt ist.”) — Was übrigens die „An-
erkennung“ betrifft, so hängt auch sie mit dem psychologischen Vorgang
bei der Bildung des Rechts zusammen und begleitet bezw. schafft die Gel-
tung) jedes Rechtssatzes (ohne Unterschied der Form, in welcher der Rechts-
satz als Ergebnis jenes psychologischen Vorgangs äußerlich zum Ausdruck
gelangt ist), denn ein Recht, dem der Wille die Anerkennung versagt, ist
1) So unterscheidet Gareis 8 9ff. „wirkliche, echte Quellen“ und „unselbständige oder
unechte Quellen“ des Völkerrechts und zählt zu den ersteren die necessitas und die Gewohn-
heit; neuestens finden wir bei Leseur, Introduction p. 22 sq. als Quellen des Völkerrechts
die necessitas, die Gewohnheit und die Verträge bezeichnet. Möringhac, I, 80ff., unter-
scheidet direkte und indirekte Quellen des Völkerrechts (Landesgesetze und richterliche Ent-
scheidungen).
2) So von v. Holitzendorff, HH IS. 83. — Gegen die Behandlung der Anerkennung
als formelle Quelle nceuestens Regelsberger, Pandekten I S. 89 Anm. 12 und die dort an-
geführte Schrift von Brie, Staatenverbindungen XXXIX ff.
3) Gegen die Behandlung der necessitas als formelle Quelle des positiven Rechts
neuestens Nippold, Der völkerrcchtliche Vertrag 8. 13ff. Nippold verwirft aber über-
haupt die Verwertung der Notwendigkeit im Bereich des Völkerrechts, weil dieses auf dem
Willen der Völker beruhe. Indessen, die Auffassung der Notwendigkeit in Verbindung
mit den Willensentscheidungen der Staaten in dem oben im Text festgehaltenen Sinne dürfte
kaum zurückzuweisen sein. Ein notwendiges Recht im Sinne des Naturrechts will übrigens
oben nicht behauptet werden. 8.25 operiert Nippold mit dem Moment der Notwendigkeit
in obigem Sinne, wenn er sagt: „Der Wille der Staaten ist als ein vernünftiger zu denken
und als solcher erkennt er die Vorteile, ja die Notwendigkeit, internationale Rechtsregeln auf-
zustellen.“
4) Vgl. Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze S. 41.