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auf einen eventuellen Krieg abgeschlossene Verträge werden während des
Kriegszustands wirksam; außerdem können im Laufe des Krieges aus man-
cherlei Anlässen zwischen den Kriegführenden Verträge (sog. Kriegsverträge)
abgeschlossen werden. Es ist daher ein Vertragswille unter den Kriegführenden
möglich und die Fortdauer der Gültigkeit von Verträgen, die in Friedenszeiten
abgeschlossen worden sind, kein Widerspruch mit den aus dem Kriegszustande
entspringenden Konsequenzen. Dies gilt von allen rechtsetzenden Verträgen
und den in der neueren Zeit im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt abge-
schlossenen Kollektivverträgen, von allen nichtpolitischen Einzelverträgen (Aus-
lieferungs-, Post- und Telegraphenverträge, Handels- und Schiffahrtsverträge);
manche derselben werden allerdings in ihrer Wirksamkeit durch den Kriegs-
zustand suspendiert; ihre Ausführung ist tatsächlich unmöglich geworden.
Ferner ist während der Dauer des Kriegszustandes die Ratifizierung von Ver-
trägen ausgeschlossen. Politische Verträge dagegen, deren Gültigkeit und Wirk-
samkeit friedliche Beziehungen der Kontrahenten zur Voraussetzung haben,
z. B. Allianzverträge, erlöschen mit dem Ausbruch des Krieges, politische Ver-
träge dagen (wie z. B. Grenzverträge), durcli welche eine rechtliche Beziehung
zwischen den beteiligten Staaten eine definitive Ordnung gefunden hat, er-
löschen nicht. Der Ausgang des Krieges mag dann dem Sieger Anlaß geben,
die Aufhebung oder Abänderung eines solchen Vertrages beim Abschluß des
Friedens zu erwirken. !)
Ill. Für die neutralen Staaten und deren Angehörige treten mit dem Zeit-
punkte des Kriegsbeginnes die völkerrechtlich anerkannten Rechte und Pflichten
in Wirksamkeit.
$ 174. Der Kriegsschauplatz (Kriegsfeld). Bezüglich des Kriegsfelds
ergibt sich aus der Natur der Sache ein Unterschied für den Land- und den
Seekrieg. Im Seekrieg dienen als Kriegsfeld die Eigentunsgewässer der
Streitteile und das offene Meer bis an die Grenze der neutralen Gewässer, der
neutralisierten Binnengewässer, neutralisierten Meere, Meerengen, Strommün-
dungen und Kanäle. Im Landkrieg bildet das gesamte Landgebiet das Kriegs-
feld. Zum Landgebiet in diesem Sinne gehören auch die Kolonien und die
vasallitischen Gebiete. Kondominate und ähnliche Verhältnisse haben für den
Umfang des Kriegsfelds eine verschiedene Bedeutung; so würde z. B. weder
Cypern noch Bosnien und Herzegowina im Falle eines Krieges zwischen der
Türkei und einem dritten Staat zum Kriegsfeld gehören, dagegen wohl in
einem Kriege zwischen England und Österreich-Ungarn. Dasselbe würde für
den Sudan gelten, der unter der Herrschaft Egyptens und Englands steht.
— Eine Erweiterung des Kriegsfelds in das Gebiet eines neutralen Staates
ergab sich in neuester Zeit infolge der eigenartigen Ursachen und Zwecke
des russisch-japanischen Krieges (1904—1905), insofern Korea und eine chine-
sische Provinz — die Mandschurei — in das Kriegsfeld einbezogen wurden.
Eine Einschränkung des normalen Kriegsfeldes kann die Wirkung dauernder
Neutralisierung sein; so bezüglich der französischen Bezirke Savoyens Chablaix
1) Vgl. Oppenheim II. $ 99.