Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 187. Besondere Grundsätze des Seekriegsrechts ctc. 505 
  
der Seemächte auf dem Gebiete des Welthandels. Dieser spezifischen Seite 
des Kriegszwecks im Seekriege dienen heute die offiziellen Kriegsmittel der 
Staaten — die Kriegsflotten —; an der (bis zum Zustandekommen der Pariser 
Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856) seit dem Mittelalter üblichen Ver- 
wendung von Privatschiffen, der Kaper, halten nur wenige Staaten!) noch fest. 
Diese Staaten hielten, von dem geschichtlichen Zusammenhang der Kaperei mit der 
Behandlung des feindlichen Privateigentums als Angriffsobjekt im Scekriege ausgehend, den 
Verzicht auf die Kaperei nur als Folge der Anerkennung der Freiheit des feindlichen Privat- 
eigentums für möglich. Indessen, gerade dieser Kardinalpunkt der Reform des Seekriegsrechts 
wurde bei der Vereinbarung der Seerechtsdeklaration gar nicht berührt; man beschränkte sich 
auf Reformen, die durch die Rücksicht auf die Interessen der Neutralen geboten waren. 
Behielt also das Seekriegsrecht seinen vom Landkriegsrecht abweichenden Charakter, so erklärt 
sich die ablehnende Haltung jener Staaten bezüglich der Abschaffung der Kaperei, da man 
diese Einrichtung immerhin als das Mittel ansah, die unzulänglichen offiziellen Secstreitkräfte 
in einen: eventuellen Kampfe mit Staaten, die über starke Kriegsflotten verfügen, zu ver- 
stärken.?) Immerhin bedeutet der Verzicht der meisten Staaten auf die Kaperei im Hinblick 
auf die vielfachen Mißbräuche und Belästigungen des neutralen Handels, die mit dieser Ein- 
richtung verbunden waren, einen bedeutsamen Fortschritt. Der geschichtliche Ursprung der 
Einrichtung selbst fällt in jene Epoche, in welcher der Mangel einer kräftigen Schutzgewalt 
des Staates dem einzelnen das Recht der Selbsthilfe in größtem Maße offen ließ und ihm 
gestattet war, selbständig für die von einem auswärtigen Staat oder fremden Untertanen ver- 
ursachten Beschädigungen und Beleidigungen Schadenersatz und Genugtuung sich zu verschaffen. 
So wurde es üblich, daß Private gegen Untertanen anderer Staaten selbst im Frieden förmliche 
Beutezüge (cursus) unternahmen. Der Mangel jeglicher staatlicher Seepolizei nötigte die 
Privaten, sich selbst gegen Sceraub zu schützen — ein Umstand, der die Entwicklung der 
Privatstreitkräfte zur Seo wesentlich förderte. Bei Ausbruch eines Krieges eröffneten die 
Kaper auch ohne Auftrag der Kriegführenden die Aktion gegen das feindliche Privateigentum. 
Übergriffe aller Art, insbesondere das feindliche Vorgehen auch gegen Neutrale bewirkten in 
der Zeit, als die Staaten selbst die Kaper zur Ergänzung der eigenen Streitkräfte benutzten, 
daß die Kaperei nur gegen gewisse Bürgschaften und auf Grund einer Konzession (lettre de 
marque, licentia marchandi) betrieben werden durfte. Vielfach wurde in Landesgesetzen eine 
rechtliche Regelung dieser Einrichtung geschaffen, insbesondere sollte über jede Prise durch 
prisengerichtliches Urteil entschieden werden. Allein, alle Versuche der Verhütung von Miß- 
bräuchen hatten nur geringen praktischen Erfolg. Nicht wenig trug die Bekämpfung des 
Handels des Gegners — dieser spezifische Zweck des Seekriegs — dazu bei, daß die Krieg- 
führenden Ausschreitungen der Kaper stillschweigend duldeten, ja selbst positiv förderten: 
anderseits stellten sich dem guten Willen der Staaten, eine wirksame Kontrolle des Verhaltens 
der Kaper zu üben, oft praktische Hindernisse entgegen. Bessere Einsicht in die rechtlichen 
Grundlagen des Kriegsrechts, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unfreiheit des Privateigentums 
im Scekriege, vornehmlich aber die Scheu vor einer Reaktion der Neutralen gegen die rück- 
sichtslose Anwendung des traditionellen Seekriegsrechts führten in einzelnen Verträgen zum 
Verzicht auf die Erteilung von Kaperbriefen?) und zu Versuchen, die Mächte für eine all- 
gemeine Abolition der Kaperei und Anerkennung des Grundsatzes der Uuverletzlichkeit des 
Privateigentums zu gewinnen.) Allein, in den Kriegen am Ende des 18. Jahrhunderts bis 
  
1) Der Deklaration waren nicht beigetreten: die Nordamerikanische Union, Spanien, 
Mexiko, Venezuela, Neu-Granada, Bolivia, Uruguay. — Spanien und Mexiko sind 1907 
beigetreten. 2) Vgl. meine Abh. im Jahrb. d. ö. R. I, 10Sff. 
3) Schweden-Holland 1675, Rußland-Türkei 1667—1674. Ferner kommt auch hier in 
Betracht der berühmte Vertrag zwischen Preußen und der nordamcrikanischen Union von 
Jahre 1785 (Art 23 — Martens, Rec. IV p. 47). Dieser Vertrag erkennt auch den Grundsatz 
der Unverletzlichkeit des Privateigentums an. 
4) Anträge des Deputierten Kersaint i. d. franz. legisl. Versammlung 1792.
	        
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