8 189. Fortsetzung. Das Priesenrecht. 513
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krieg herrschende Uebung, feindlichen Schiffen, die von der Eröffnung des
Krieges in feindlichen Häfen überrascht werden, nicht sofort der Wegnahme
zu unterwerfen, fand neuestens in dem Abk. VI HK 1907 insofern An-
erkennung, als deren Beobachtung empfohlen wird. Die Umwandlung dieser
Uebung in eine Rechtsregel wurde abgelehnt. Die Begünstigung ist feindlichen
Kauffahrteischiffen gewährt, die sich beim Ausbruch der Feindseligkeiten in
einem feindlichen Hafen befinden oder ohne Kenntnis der Feindseligkeiten
einen feindlichen Hafen anlaufen; sie können unverzüglich oder binnen einer
ausreichenden Frist frei auslaufen. Können sie infolge höherer Gewalt die
Frist nicht einhalten, oder ist ihnen das Auslaufen nicht gestattet worden, so
können sie nur (unter der Verpflichtung der Restitution ohne Entschädigung)
mit Beschlag belegt oder gegen Entschädigung requiriert werden
(Art. 2, Abs. 2) Ebenso können Schiffe, die ohne Kenntnis des Kriegsbeginns
ihren letzten Abfahrtshafen verlassen haben und auf hoher See betroffen
werden nur nach Art. 2, Abs. 2 behandelt oder gegen Entschädigung zerstört
werden, unter der Verpflichtung der Vorsorge für die Sicherheit der Personen
und Schiffspapiere (Art. 3). Beschlagnahme mit der Pflicht zur Restitution ohne
Entschädigung oder Requisition gegen Entschädigung ist auch bezüglich der
feindlichen Waren an Bord der in Art. 1,2,3, bezeichneten Schiffe zulässig
(Art. 4).1) Das Abkommen findet jedoch keine Anwendung auf solche Kauffahr-
teischiffe, deren Bau ersehen läßt, daß sie zur Umwandlung in Kriegsschiffe
bestimmt sind. — Die Berechtigung zur Wegnahme erlischt mit der Beendigung
des Kriegszustandes bezw. schon mit dem Abschluß des allgemeinen Waffen-
stillstandes.
Die Ausübung des Rechts erfolgt nach bestimmten Regeln. Zum Zwecke
der Feststellung der Nationalität eines Privatschiffes ist dieses unter Beobach-
tung gewisser Förmlichkeiten anzuhalten?) (Anhaltungsrecht, droit d’arrät).
Zeigt das Schiff die feindliche Flagge, sucht es zu entweichen oder widersetzt
es sich, so kann es sofort genommen werden; andernfalls sendet der Kapitän
des Kriegsschiffes einen Offizier und einige Mann an Bord des Privatschiffes,
um die Schiffspapiere zu untersuchen (Besichtigungs- oder Visitationsrecht,
droit de visite)3). Ist das Schiff ein feindliches, so wird es in Beschlag ge-
nommen ), um in einen Hafen des Kriegführenden oder eines Verbündeten zum
Zwecke prisengerichtlicher Behandlung verbracht zu werden. BeiSeegefahr kann
das Kriegsschiff mit einer Prise in einen neutralen Hafen einlaufen. Ausnahms-
weise— insbesondere bei Gefahr oder wirklichem Notstand — kann das genommene
1) Gegenüber Art. 3 und 4 Abs. 2 hat Deutschland einen Vorbehalt gemacht, da die
Beschlagnahme u. s. w. von Schiffen, die auf hoher See betroffen werden, nur solchen Staaten
zugute kommen wird, die Stützpunkte in verschiedenen Teilen der Welt haben. Das Recht,
das Schiff zu zerstören, ist kein hinreichendes Surrogat, da für die Zerstörung Entschädigung
geleistet werden muß. Weißbuch, Denkschrift 8. 9.
2) Vgl. Prisenreglement des Instituts f. internat. Recht Annuaire IX p. 2i8sq. 8$ 10
bis 13.
3) Prisenreglemont des Instituts f. internat. Recht a. a. 0. $$ 14—18.
4) Durch Besetzung des Schiffes durch einen Teil der Mannschaft des Kriegsschiffes.
Ullmann, Völkerrecht. 33