Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

516 Achtes Buch. Die intern. Streitigkeiten u. deren Erledigung etc. & 190. 
  
18. Jahrhundert kommt es jedoch vielfach vor, daß eine feindliche Armee auf neutrales Gebiet, 
eine feindliche Flotte in neutrale Gewässer verfolgt wird. Das Verhalten der Neutralen wurde 
zwar wesentlich als Nichteinmischung in den Krieg aufgefaßt; dies hinderte jedoch nicht, daß 
einem der Kriegführenden Truppen gestellt wurden; derlei Hilfeleistungen waren übrigens 
zuweilen auch in dieser Zeit die Wirkungen des Zwanges seitens eines Kriegsteils.. In der 
Literatur des 18. Jahrhunderts ist es Vattel, der den Begriff der Neutralität und dessen 
Konsequeuzen klarer erfaßt, wie denn überhaupt erst in dieser Zeit die Ausdrücke „neutral“ 
und „Neutralität“ in Gebrauch kommen.!) Am empfindlichsten wurde das Interesse der nicht- 
beteiligten Staaten an der ungestörten Fortsetzung des Handels während des Krieges durch 
Beschränkungen und Gewaltmaßregeln namentlich seitens der größeren Seemächte getroffen. 
England hielt an den Grundsätzen des Consvlato del mare fest, nach denen die Eigenschaft 
des Gutes entscheidend war, daher das feindliche Eigentum auch auf neutralem Schiffe Gegen- 
stand der Wegnahme war; Frankreich (in einer Reihe von Edikten des 16. Jahrhunderts und 
in der Marineordonnanz vom Jahre 1681) unterwarf der Wegnahme das feindliche Eigentum 
auf neutralem Schiff und das neutrale Eigentum auf feindlichem Schiff. In einzelnen Ver- 
trägen (Utrechter Vertrag 1713 und Erneuerung desselben 1739, ferner in dem Vertrage mit 
Dänemark 1742) hatte Frankreich die Anerkennung des Satzes: „Frei Schiff, frei Gut“ zu- 
gestanden; ebenso hielt England daran fest, daß es Abweichungen von den Regeln des Con- 
solato nur im Wege spezieller Stipulationen konzedieren könne. Gegen die willkürliche Aus- 
dehnung des Begriffs der Kriegskontrebande suchten sich die Neutralen gleichfalls durch 
spezielle Verträge zu schützen. In dem siebenjährigen Kriege steigerte England die Beschrän- 
kungen des neutralen Handels durch die sog. rule of the war of 1756, nach der den Neutralen 
verboten war, im Kriege sich seitens eines Kriegsteils einen Handelsbetrieb (Handel mit den 
Kolonien eines Kriegführenden) einräumen zu lassen, zu dem sie in Friedenszeiten nicht be- 
rechtigt sind?2). Außerdem wurde der Grundsatz der continuous voyage — der einheitlichen 
Reise — aufgestellt: es sollte den Neutralen nicht gestattet sein, auf der Fahrt von den 
Kolonien eines Kriegsteils zunächst einen neutralen Hafen zu berühren und von da aus dio 
Fracht nach einem feindlichen Hafen zu verbringen. — Den von den großen Seemächten bec- 
folgten Maximen stellten die meisten übrigen Mächte dio Forderung entgegen, daß die neu- 
trale Flagge das feindliche Eigentum deckt. Die Anerkennung dieses Satzes, sowie der 
übrigen Ansprüche der Neutralen konnte gegenüber den immer wiederkehrenden Mißbräuchen 
der Kriegführenden erst durchgesetzt werden, wenn das solidarische Interesse der Neutralen 
in wirksamer Weise geltend gemacht, d. h. den Machtüberschreitungen der großen Secmächte 
eine machtvolle Betonung der Ansprüche der Neutralen entgegengesetzt werden konnte. 
Damit konnte der rechtlichen Anschauung einer größeren Zahl von Staaten übereinstimmender 
Ausdruck gegebon und die Beseitigung mißbräuchlichen Verhaltens einzelner Mächte im Kriege 
angebalınt werden; anderseits wurde aber auch der Boden geschaffen, auf dem eine klarcre 
Gestaltung des Neutralitätsverhältnisses im ganzen sich vollzichen konnte. In der Tat bildet 
das von Rußland unter der Kaiserin Katharina Il. angeregte gemeinsame Vorgehen einer 
Reihe von Mächten gegen England in der sog. „bewaffneten Neutralität“ vom Jahre 1750) 
  
1) Grotius gebraucht den Ausdruck medii in bello, Bynkershoek: non hostes. 
2) England hatte Frankreich den Handel mit seinen Kolonien abgeschnitten; dieser 
Handel war in jener Zeit den nationalen Schiffen des Mutterlandes vorbehalten. Vgl. Haute- 
feuille, Des droits et des devoirs des neutres Ill p. 330; Phıllimore, Commentaries III 
p. 370 sy. 
3) Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität (1780—1783). Eine Entwicklungsphase des 
Völkerrechts im Seekriege (1554); Geffeken, HH IV S. 621 ff.; F. v. Martens Il S. 55äff. 
und Revue de dr. intern. XJII p. 94 sq.; XVI p. 312 sq.; Desselben Recueil des traites etc. 
conclus par la Russie VI p. 107 sq. — Neuestens wird die Autorschaft der Idee der bewaffneten 
Neutralität von Fauchille in seinem preisgekrönten Werke: „La diplomatie frangaise et la 
ligue des neutres 1780 (1776—17$3) — (1593) dem Grafen Vergennes, Minister Ludwig’s XV1., 
vindiziert, gleichzeitig aber das große Verdienst der Kaiserin Katharina anerkannt, welche 
diese Idee realisierte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.