Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

62 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. & 12. 
  
Innerhalb gewisser, den antiken Standpunkt nicht verleugnender Grenzen 
kommt bei den Griechen der völkerrechtliche Gedanke einer Gemeinschaft 
gegenseitig unabhängiger Staaten und folgemäßig die Anerkennung gegen- 
seitiger Rechte und Pflichten in Amphiktyonenbund zur Geltung. Durch 
diesen Bund fand das griechische Volk trotz seiner staatlichen Zersplitterung 
eine politische Einigung in einer Art von Staatensystem. Die Einheit der 
Rasse, Religion und Zivilisation ermöglichte eine Gemeinschaft gegenseitig 
unabhängiger Staaten, die in Friedens- und Kriegszeiten ein rechtlich geregeltes 
Verhalten gegenseitig beobachteten. Die praktischen Wirkungen dieser Rechts- 
gemeinschaft äußerten sich vor allem in einer humaneren Kriegführung, so 
insbesondere in der Schonung der Fruchtbäume, in dem Verbot, einer Stadt 
das Wasser abzuschneiden, in der Schonung des Lebens der Bewohner einer 
eroberten Stadt, die in einen Tempel geflohen waren, in der Zulässigkeit der 
Auswechslung und Freilassung der Gefangenen, die im äußersten Falle als 
Sklaven behandelt werden konnten, in der Unverletzlichkeit der heiligen 
Stätten, der Priester, Herolde u. s. w. Aber auch die friedliche Austragung 
von Streitigkeiten unter den Bundesmitgliedern (durch das Amphiktyonen- 
gericht) war vorgesehen. 
Der religiöse Ausgangspunkt gewisser Symptome der Völkerrechtsidee 
im Altertum kam bei den Römern in der Institution eines Priesterkollegiums 
— der Fetiales — zum Ausdruck. Dieses Kollegium hatte die völkerrecht- 
lichen Geschäfte zu leiten, insbesondere sein Gutachten über die Gerechtigkeit 
eines zu unternehmenden Krieges abzugeben. !) Die Fetiales hatten den Krieg 
solenn zu erklären. Die Kriegserklärung galt als wesentliche Voraussetzung 
des bellum justum, mit dem allein betreffende rechtliche Wirkungen, nament- 
lich die Versetzung der Gefangenen in Sklaverei, verknüpft werden konnten. 
Beim Abschluß der Friedensverträge hatte der Vorstand des Kollegiums für 
den römischen Staat den Eid zu leisten. Religiöse Gesichtspunkte waren auch 
für die Unverletzlichkeit der Gesandten maßgebend (sancti habentur legati). 
Wer einen fremden Gesandten verletzt, wird dem betreffenden Volke aus- 
geliefert. Die Strafe hieß hostibus dedi. Wurde der Täter zurückgeschickt 
oder entlassen, so verlor er doch das römische Bürgerrecht und konnte es 
nur durch förmliche Lex wieder erwerben [l. 17 D. de legationibus (50,7), 
vgl. auch 1. 4D. de captivis (49,15). In der angeführten 1. 17 D. (50,7) wird 
ferner gesagt, daß die Gesandten eines fremden Volkes frei bleiben, wenn- 
gleich ihrem Volke während ihrer Anwesenheit im römischen Staate Krieg 
erklärt wird, nam lex est juris gentium. In D. de captivis (49, 15) und C. 
de postliminio reversis (8,51) ist hauptsächlich die Rede von den Subjekten 
und Objekten, hinsichtlich deren ein jus postliminii stattfinden kann, durch 
welches Sachen, die der Feind okkupiert hatte, nachher, wenn sie zurück- 
gebracht werden, dem Eigentümer wieder zufallen; ferner werden die Per- 
sonen bezeichnet, die nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft wie- 
  
a. 2. O. 10 ff. neuerlich den berühmten Cheta-Vertrag, einen Friedensschluß zwischen Ramses 
dem Großen und dem Chetafürsten ca. 1400 v. Chr. 
1) Sie fungierten als eine Art von Kronjuristen.
	        
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