$ 15. Fortsetzung. V. Vom Westphälischen Frieden bis zur französischen Revolution. 69
einer Idee des europäischen Gleichgewichts hervor, sodaß von da an
die Verbindungen unter den Staaten auf Verhinderung einer Suprematie eines
einzelnen Staates oder gegen das System der Universalmonarchie (Prinzipat-
system) gerichtet sind. In engerem Bereich (innerhalb der italienischen
Staaten) war der Gedanke des politischen Gleichgewichts schon im 15. Jahr-
hundert in einer Allianz des päpstlichen Stuhles, Florenz, Mailand, Neapel
und Venedig hervorgetreten !). Seit dem Eintritt des Gedankens des politischen
Gleichgewichts in die Politik des westlichen Europa war damit zweifellos
ein bedeutsamer Faktor der Befestigung des europäischen Staatensystems und
damit die Grundlage für die ernstliche Anerkennung von gegenseitigen
Rechten und Pflichten der Staaten gegeben. Unter seinem Einfluß stand
schon in dieser Periode die große politische Aktion der europäischen Politik
gegen die Prinzipatsbestrebungen Karls V. Die zahlreichen Kriege der
folgenden Periode stehen vorwiegend im Zusammenhang mit den politischen
Aspirationen und der Rivalität der Häuser Habsburg und Bourbon; den
übrigen Staaten blieb infolge des Einflusses dieser beiden Mächte und der
damals herrschenden dymastischen Politik vielfach nur die Wahl, sich der
einen oder anderen Macht anzuschließen, wobei nur das individuelle Interesse
den Ausschlag gab. Die Weiterbildung des modernen Staates in seiner abso-
lutistischen Gestalt hatte aber schon in jener Zeit den völkerrechtlichen Ge-
danken der Staatengemeinschaft im Gegensatz zur Gemeinschaft ihrer
Lenker in den Vordergrund gerückt und damit ein, wenn auch vorerst nur
mäßiges Gegengewicht der ausschließlich dynastischen Politik geschaffen.
Mit dieser Entwicklung ist dann auch die Ausscheidung des Einflusses kon-
fessioneller Gesichtspunkte aus der internationalen Politik gleichen Schritt
gegangen, ein Ergebnis, das allerdings schon in der früheren Periode in die
Erscheinung getreten war, im 16. Jahrhundert in der Anknüpfung von inter-
nationalen Beziehungen mit der Türkei (Franz J. und Heinrich II. von
Frankreich) zum Ausdruck kam. Die völkerrechtliche Sanktion dieser An-
schauung und die völkerrechtliche Anerkennung der Gemeinschaft der gleich-
berechtigten souveränen Staaten Europas vollzog sich aber auf dem bedeut-
samen Kongreß der Mächte zu Münster und Osnabrück und in dem einen
Wendepunkt in der Entwicklung des Völkerrechts bildenden Westphäli-
schen Friedensvertrage vom 24. Oktober 1648.
$ 15. Fortsetzung. V. Vom Westphälischen Frieden bis zur fran-
zösischen Revolution. Es ist schon oben (S. 28ff.) der wesentliche Anteil,
den die Wissenschaft, vor allem die wissenschaftliche Tat des Hugo Grotius,
an der bedeutsamen Förderung der völkerrechtlichen Idee in der internationalen
Praxis dieser Epoche aufweist, betont worden. Der wissenschaftlichen Tat
des Grotius folgte der Westphälische Frieden, dessen Inhalt und Geist als das
1) Vgl. Nys RXXV, 34 ff., der auch an der Hand von Guicciardini (Gesch. Italiens
von 1492 bis 1532) darauf aufmerksam macht, daß es Lurenzo von Medici war, der sich des
Bildes des Gleichgewichts an der Waage bediente, als er den Widerstand gegen die Ver-
größerung der bedeutenderen Staaten Italiens und die Erhaltung des Gleichgewichts für nötig
erklärte.