$ 16. Fortsetzung. VI. Von der franz. Revolution bis zum Pariser Kongreß d. Jahres 1856. 75
familie gegen Bewegungen der Bevölkerung im Interesse der Einführung
konstitutioneller Einrichtungen wirksam geschützt werden. Sollten diese Ziele
im gegebenen Falle auch verwirklicht werden, dann bedurfte es auch even-
tuellen Eingreifens mit Machtmitteln; in der Tat hatte die heilige Allianz
unter Verleugnung der Grundlagen des Völkerrechts und des damit gegebenen
Grundsatzes der Nichtintervention sich ein Recht der Intervention in den
Angelegenheiten dritter Staaten angemaßt. Die von solchem Geiste beherrschte
Politik der Großmächte kam in den Beschlüssen der Kongresse zu Aachen
1818, Troppau 1820, Laibach 1821 und Verona 1822 zu uneingeschränkter
Anwendung: es fanden die Interventionen in Neapel, Piemont 1821, in
Spanien 1823 und Portugal 1826 statt. Der Versuch, zu Gunsten Spaniens
gegen die revolutionäre Bewegung in den südamerikanischen Kolonien zu
intervenieren, veranlaßte den diplomatischen Widerstand der Nordamerikani-
schen Union; in der Botschaft des Präsidenten Monroe vom 2. Dezember
1823 wurde erklärt, daß die Union eine Intervention europäischer Mächte in
Angelegenheiten amerikanischer Staaten nicht dulden könne. 1) Noch weiter
ging Simon Bolivar in der Opposition gegen die heilige Allianz: es sollte
eine amerikanische Förderation gebildet und der europäischen Rechtsgemein-
schaft eine selbständige amerikanische gegenübergestellt werden. Diese
separatistischen Bestrebungen, die auch im Panamakongreß 1826 zum Aus-
druck kamen, traten in verschiedenen Richtungen noch in der folgenden Zeit
hervor, ohne jedoch die Völkergemeinschaft in der damals gedachten Form
wirklich zu spalten. Dies beweist das Verhalten der Staaten des amerikani-
schen Kontinents in den folgenden Dezennien und gerade in neuester Zeit in
den Verhandlungen der zweiten Haager Konferenz 1907, wo Amerika an der
Weiterbildung des die Menschheit umfassenden Völkerrechts rückhaltlos sich
beteiligt hat. — In jene Periode fallen allerdings noch andere Interventions-
fälle, die aber einen durchaus abweichenden rechtlichen Charakter an sich
tragen, nämlich die Intervention Englands, Frankreichs und Rußlands in dem
Unabhängigkeitskampfe Griechenlands gegen die Türkei 1827, die mit der
Anerkennung Griechenlands als selbständiger Staat endigte?), ferner die Inter-
vention Englands, Frankreichs, Osterreichs, Preußens und Rußlands in dem
belgisch-holländischen Streit, die mit der Errichtung des Königreichs Belgien
und dessen Neutralisierung endigte.?)
Der Widerstand gegen die Politik der heiligen Allianz kam in der
Revolution des Jahres 1830 zum Ausdruck, hatte doch die neue französische
Verfassung den Grundsatz der Achtung der Autonomie der Staaten und das
Prinzip der Nichtintervention ausdrücklich sanktioniert. Frankreich opponierte
dem Versuche Preußens in Belgien, die Intervention Österreichs zu Gunsten
des Kirchenstaats in der Romagna führte zur Besetzung Anconas durch fran-
zösische Truppen 1832 bis 1838 (Abzug der Oesterreicher aus dem Kirchen-
staat). Der definitive Bruch mit den Maximen der heiligen Allianz wurde
1) S. Fleischmann 27.
2) S. Dokumente bei Fleischmann 32, 33, 34.
3) Dokumente bei Fleischmann 35.