16 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. $ 16.
aber doch erst vorbereitet bezw. vollzogen durch den Sieg der konstitutionellen
Idee über den Absolutismus infolge der Umgestaltungen der politischen Ver-
hältnisse in den meisten europäischen Staaten nach der Revolution des Jahres
1848. Dein Gedanken, daß die Staaten die Völkerrechtssubjekte seien,
wurde nunmehr aus Gründen der Organisation der öffentlichen Gewalt und
der Anerkennung der Mitwirkung der Volksvertretung an der Verfolgung des
Staatszwecks auch in den auswärtigen Angelegenheiten zum Siege verholfen.
Damit war der sonst allmächtigen dynastischen und Kabinetspolitik der Boden
entzogen — ganz abgesehen davon, daß in der nun folgenden Periode der
intensiven Ausbildung des Verkehrs und der Verkehrsmittel die Stimme der
öffentlichen Meinung in den verschiedensten Formen die auswärtige Politik
in den Bereich der Kritik gezogen hatte. Jedenfalls fanden die Bedingungen
einer rückhaltloseren Anerkennung der Völkerrechtsidee eine wesentliche
Förderung, so daß es mindestens schwieriger wurde, die Existenz des Völker-
rechts und die Herrschaft von Recht und Gerechtigkeit bei verschiedenen
Anlässen solenn zu betonen, gleichzeitig aber eine Politik einseitiger Förderung
egoistischer Interessen weiter zu verfolgen.
Die Periode endigt mit dem Krimkrieg 1853. Die Unterstützung der
Türkei in dem Kampfe mit Rußland durch die Westmächte (England, Frank-
reich und Sardinien) verhütete eine Störung der Machtverhältnisse in Europa,
vermochte aber das wichtige politische Problem — die sogen. orientalische
Frage — nicht zu lösen. Die Feststellung des ganz Europa interessierenden
politischen Ergebnisses des Krieges erfolgte durch den Pariser Kongreß 1856.)
In Art. 7 des Friedensvertrags vom 30. März 1856 erklären die Kongreß-
mächte die „hohe Pforte teilhaftig* der Vorteile des öffentlichen europäischen
Rechts und des europäischen Konzerts, womit die Unabhängigkeit des Genusses
völkerrechtlichen Schutzes von der Konfession und religiöser Anschauung
neuerlich eine solenne Sanktion gefunden hatte. Abgesehen von der Ordnung
der politischen Verhältnisse, soweit sie mit der orientalischen Frage zusammen-
hingen, wurde die Aufmerksamkeit des Kongresses auch auf wichtige Fragen
der Weiterbildung des Völkerrechts gelenkt. In einer wenn auch
noch schüchternen Weise (in der Form eines Wunsches — voeu) wurde der
Wert der Mediation in internationalen Streitfällen anerkannt.2) Der ver-
hältnismäßig lange und blutige Krieg hatte die Sorge um die Erhaltung des
Friedens ausgelöst. Dagegen erzielte der Kongreß auf dem Gebiete des See-
kriegsrechts und in der wichtigen Frage der Wahrung der Interessen der
Neutralen positive Ergebnisse, die ihren formellen Ausdruck in der See-
rechtsdeklaration vom 16. April 1856 fanden. Dem Gedanken, daß Normen
allgemeinen Inhalts auch auf der ausdrücklichen Anerkennung aller Mitglieder
der Völkergemeinschaft beruhen sollten, entsprach der Vorbehalt des Beitritts
der am kongreß nicht vertretenen Mächte zur Seerechtsdeklaration. Neuestens
1) Dokumente bei Fleischmann 50, 57. Es waren vertreten: Frankreich, England,
Österreich, Preußen, Rußland, Sardinien und die Türkei.
2) Siche den Auszug aus den Kongreßprotokollen (23 Sitzung vom 14. April 1556)
bei Fleischmann 50.