$ 17. Fortsetzung. VU. Von 1856 bis zur Gegenwart. 19
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können. Die Schaffung dieses neuen Rechtsgebiets — dieses modernen Ver-
kehrsrechts!) — ist das Werk der zahlreichen Konferenzen der neuesten
Epoche, denen in der Geschichte des Völkerrechts eine ebenso wichtige wie
eigenartige Rolle zugewiesen ist. Ihre Eigenart liegt in ihren nichtpolitischen
Charakter. Kulturpflege ist aber eine Friedenstätigkeit. Die zahlreichen
internationalen Unionen können ihre wichtigen materiellen Zwecke nur auf
dem Boden einer gesicherten Friedensordnung der Verkehr pflegenden Völker
verfolgen. Das allenthalben gerade in der neuesten Zeit so lebhaft kund-
gegebene Streben nach dauernder Erhaltung des Friedenszustandes ist zu
gutem Teil nur eine Reflexwirkung des unser heutiges Kulturleben be-
herrschenden Internationalismus, der hinwieder die Notwendigkeit einer sicher
funktionierenden internationalen Rechtsordnung zum Schutze der heute schon
so zahlreichen internationalen Rechtsgüter in den Vordergrund rückt. Der
rationelle Ausbau dieser Ordnung gehört gewiß zu den bedeutsamen Auf-
gaben, welche die internationale Gemeinschaft zu lösen hat; ist doch ebenso
wie im nationalen Leben die rechtliche Ordnung die unerläßliche Voraus-
setzung der Wohlfahrtspflege und der Lösung positiver Kulturprobleme, denen
sich die heutigen Staaten nun einmal nicht entziehen können. Der enge Zu-
sammenhang der Lösung der Staatsaufgaben mit den Mitteln, welche die
internationale Gemeinschaft den Einzelstaaten zur Verfügung stellt, drängt
daher die Bedeutung der notwendigen Voraussetzung gedeihlicher Kulturpflege
in die erste Reihe der kollektiven Aktionen der Mitglieder der internationalen
Gemeinschaft. Wenn wir nun sehen, wie die Pflege solidarischer Kultur-
interessen in unserer Zeit eine noch nie dagewesene kollektive Wirksamkeit
der Mächte hervorgerufen hat, so begreifen wir, wie sich nach einem die
Staatengemeinschaft beherrschenden Gesetze auch die Notwendigkeit der Aus-
gestaltung und Weiterbildung des materiellen und formellen Völkerrechts
immer mächtiger Anerkennung verschaffen muß. Die intensive Förderung der
spezifischen Verkehrsinteressen mußte die Aufmerksamkeit auch auf ein ana-
loges Vorgehen auf anderen Gebieten des internationalen Rechts lenken und
die Bedeutung der Konferenzen für die Weiterbildung des Völkerrechts durch
allgemeine rechtsetzende Verträge klarlegen. Während in früheren Epochen
und teilweise noch in neuerer Zeit die Mitglieder der internationalen Gemein-
schaft alle Fragen des allgemeinen Völkerrechts vielfach allzu einseitig aus
dem Gesichtspunkt ihrer individuellen und isolierten Interessen zu betrachten
pflegten, drängt in unseren Tagen die nicht abzuweisende Solidarität der In-
teressen zu der Überzeugung, daß die internationalen Gemeininteressen ein
konstant wirksames Motiv kollektiven Vorgehens der Mächte bil-
den; man scheut die Kooperierung im Dienste jener Gemeininteressen umso
weniger, als man überzeugt ist, daß sie gleichzeitig das Mittel ist, die indi-
viduellen Interessen des einzelnen Staates zu schützen und zu fördern. Diese
richtige Erkenntnis des Verhältnisses der Individualinteressen (der Mitglieder
1) Vgl. Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten
(1907) 32 und Niemeyer, Internationales Recht und nationales Interesse (1907) 13 und
passim.