Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

88 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. 8 19. 
führt mit Notwendigkeit zur Behandlung des Staats als Person, als ein- 
heitliches Rechtssubjekt. Indem das Volk nur im Staat und nur durch die 
staatliche Organisation zum Träger eines rechtlich bedeutsamen Willens wird, 
können die Beziehungen zu anderen Völkern rechtliche Bedeutung nur durch 
ihre Verknüpfung mit der Persönlichkeit des Staates gewinnen; der Gemein- 
wille des Volkes kann sich auch nach außen in rechtlich wirksamer Weise 
nur durch das Medium der staatlichen Organisation bekunden. Um deswillen 
können nur staatlich organisierte Völker im Verkehr mit anderen Völkern 
Subjekte von Rechten und Pflichten sein. Die Angehörigen einer staatlich 
organisierten Volksgemeinschaft, korporative Verbände usw. können selbstän- 
dige Träger von Rechten und Pflichten nur innerhalb des betreffenden Gemein- 
wesens sein; nach außen kommen ihnen Rechte nur insofern zu, als der Staat, 
dem sie angehören, ihre Interessen zu vertreten berufen ist. Gestalten sich 
also hiernach die Lebensverhältnisse zwischen Völkern und ihren Angehörigen 
in rechtlicher Beziehung allemal als Beziehungen der staatlich organi- 
sierten Völker, so können nur die Staaten auf dem Boden der völkerrecht- 
lichen Gemeinschaft als Subjekte von Rechten und Pflichten erscheinen. !) In 
der Tat kennt das Völkerrecht nur Staaten als völkerrechtliche Personen; 
anderseits ist das Völkerrecht selbst das Werk der staatlich organisierten 
Volksgemeinschaften, geschaffen für die aus ihrem Verkehr entspringenden 
Verhältnisse und Beziehungen. 
II. Mit dem Satze, daß in thesi nur Staaten Subjekte des Völkerrechts sein 
können, ist noch nicht die Frage bejaht, daß jedem Staat diese Eigenschaft 
zukommt. Es entsteht insbesondere die Frage, ob die völkerrechtliche Per- 
sönlichkeit eines Staates von der vollkomniensten Gestaltung seiner Herr- 
schaftsrechte d. i. von der Souveränetät?) abhängig sei. In der staatsrecht- 
lichen Doktrin herrscht darüber Meinungsverschiedenheit, ob die Souveränetät 
ein wesentliches Element des Staatsbegriffs ist.) Bejaht man diese Frage, 
  
1) Eine Nation (im ethnographischem Sinne), die ihre staatliche Organisation eingebüßt 
hat, kann nicht als Völkerrechtssubjekt behandelt werden; cbenso wenig nomadisierende 
Völker und solche Völker, denen jenes Maß sozialer Organisation fehlt, das im Bereich der 
Staaten verschiedener Zivilisationskreise die wesentliche Voraussetzung der Existenz als Staat 
ist (barbarische, wilde und halbwilde Völker); ferner depossedierte Monarchen, Handels- 
und Kolonialgesellschaften, Privatpersonen. 
2) Aus der schr umfangreichen Literatur über dıe Souveranctät seien von neueren 
Schriften hier nur hervorgehoben: Hancke, Bodin, eine Studie über den Begriff der Souve- 
ränetät (1594): Landmann, Der Souveränctätsbegriff bei den französischen Theoretikern 
(1596): Doek, Der Souveränctätsbegriff von Bodin bis zu Friedrich dem Großen (1897); 
Rehm, Geschichte der Staatsl. 102ff.: Derselbe, Allgemeine Staatslehre (1899) $$ 10ff.: 
Merriam, History of the theory of Sovereignty since Rousseau (1900); Bornhak, Allg. 
Staatslehre; Jellinek, Allg. Staatslehre, 394 ff. Siehe auch Oppenheim I, $$ 64 sa. 
8) Diese Frage liegt außer dem Bereich der vorliegenden Erörterungen. Die Ansicht, 
daß die Souveränetät ein begriffliches Merkmal des Staates sei, ist im Anschluß an die Er- 
scheinungen, welche die normale Gestaltung der Herrschaftsrechte der Staatsperson (bezw. des 
absoluten Herrschers), im Einheitsstaate gewonnen hat, erwachsen. Dieser normalen Ge- 
staltung der Rechtsstellung der Staatsperson nach innen und außen stehen aber Modifikationen 
gescnüber, die bei der theoretischen Erkenntnis des Staates umso weniger unbeachtet bleiben
	        
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