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Kaiser und Landesherren wieder nachgeben, dann setzen doch
die Sozialdemokraten ihren Willen durch.“ Jetzt aber hat
sich vier Jahre lang gezeigt, daß den Abgeordneten die
größten Reden und die kühnsten Beschlüsse gar nichts helfen,
wenn der König sagt: „Das geht nicht; solche Beschlüsse
sind unausführbar.“ Was dann passiert, das hat uns eben
Fürst Bismarck im Verfassungskonflikt gezeigt. Also wenn es
einmal so kommen sollte, dann wollen wir sein Andenken
dadurch hochhalten, daß wir anwenden, was wir von ihm
gelernt haben.
Das ist aber zweierlei. Erstens, daß man törichten
Beschlüssen eines Abgeordnetenhauses oder Reichstages nicht
nachgeben darf, selbst wenn sie mehrmals hintereinander ge-
faßt werden. Zweitens aber, daß man um solcher törichten
Beschlüsse willen nicht etwa die Verfassung brechen und Ab-
geordnetenhaus und Reichstag ganz abschaffen soll. Denn es
ist sehr gut für ein Volk, wenn jeder weiß, daß er selber auch
mit raten darf, was geschehen soll, also daß er selber zum Teil
mit verantwortlich ist, wenn etwas Schlimmes geschieht.
Das ist jetzt so im Deutschen Reich. Wenn zum Reichstag
gewählt wird, dann gilt die Stimme des ärmsten Arbeiters
genau so viel wie die des reichsten Mannes. Allerdings gilt
auch die Stimme des dümmsten Mannes genau so viel wie
die des klügsten; aber das schadet deswegen nicht so viel, weil
mitunter, wie im Verfassungskonflikt, die klügsten Leute die
törichtesten Beschlüsse fassen. Die Hauptsache ist, daß der
ärmste Mann bei der Reichstagswahl genau so viel Ver-
antwortlichkeit hat, wie der reichste Mann, daß keiner sagen
kann: „Was geht mich das Deutsche Reich an! Ich werde
ja doch nicht gefragt, wie es eingerichtet werden soll“ oder
„Jeder reiche Mann hat ja hundertmal so viel bei der Wahl
zu sagen, wie ich,“ sondern daß sich jeder sagen muß: „Auf
meine Stimme kommt genau so viel an, wie auf die des