Full text: Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen.

Politische und religiöse Zustände der Wenden. 69 
Von der altwendischen Sprache ist fast nichts bekannt, als daß sie sich in 
eine große Anzahl von Dialekten spaltete und in bedeutendem Maße von der 
entfernt verwandten litauischen Sprache durchdrungen war'). 
In Gemäßheit des ursprünglich ruhigen und wenig ehrgeizigen Charakters 
der Wenden hatte in ältester Zeit völlige Gleichheit unter ihnen geherrscht, 
indem jeder Hausvater über seine Familie regierte. Im Kriege wurden 
Boihati „Kriegshelden“ zu Anführern gewählt, die auch im Frieden ein ge- 
wisses Ansehen besaßen. Auf den allgemeinen Landtagen, auf denen die 
wichtigsten Angelegenheiten behandelt wurden, mußte Einstimmigkeit herr- 
schen. Widersprach ein minder Mächtiger, wurde er freilich durch Prügel zur 
Ruhe bewogen"““"). Die eigentliche Gesetzgebung ging meistens von den 
Priestern aus. Das Recht wurde von Schöffen gehandhabt, die nur auf 
Geldbußen und Stockprügel erkennen konnten, während die eigentlichen 
Kriminalfälle durch Selbsthilfe und Blutrache erledigt wurden und gar nicht 
vor das Gericht kamen. 
A# aber die Wenden erst seßhaft geworden waren und die deutschen 
Sitten auf sie Einfluß zu üben begannen, änderten sich ihre politischen Ein- 
richtungen bedeutend; es entstand ein beträchtlicher Adel, der freie Guts- 
eingesessene und Sklaven — diese in Kriegsgefangenen und erkauften Frem- 
den bestehend — beherrschte und bei den Wilzen den ganzen Staat lenkte. 
Bei den anderen Slawenstämmen trat ein Fürst an die Spitze der Ver- 
waltung, eingeschränkt jedoch durch die mächtigen Priester, die Adligen und 
die Versammlung der Freien. Besonders die Kommunalangelegenheiten 
wurden von den freien Bauern und Städtern selbst bestimmt. Wieviel die 
landesherrliche Steuer, die Wojewotiza, betragen haben mag, ist unbe- 
kannt'“). 
Wie in der Staatsverfassung, so und noch mehr in betreff der wendischen 
Religion ist es schwierig, die ursprünglichen Elemente von den vielen, später 
aus der nordischen Mythologie und dem Christentume hinzugekommenen 
herauszuscheiden. Es läßt sich deutlich erkennen, daß die ursprüngliche Reli- 
gion der Wenden, wie dies überall in den Anfängen der Völker eintritt, ein 
Naturgottesdienst war. An der Spitze der Weltregierung stand das höchste 
Wesen, das aber bald in den Hintergrund trat. Da waren die Haingötter, 
die keine Abbilder besaßen und nur in Symbolen verehrt wurden, wie 
Nemisa, der Windgott, Ipabocg und Podaga, die Hirten- und Jägergötter, 
Swantewitth, der glänzende, am allgemeinsten verehrte Sonnengott, der 
  
Sosfari. Slaw. Altert., II, S. 615 ff. 
%) Gebhardi, Allgem. Neltgesch. II, S. 266 f. — Rudloff, Mecklenb., I, S. 26 ff. — 
eßer Pommern, I, S. 167. 
5½½) Biesebrecht, Wend. GSesch., I. S. 40—57. — Lützow, Mecklenburg, I, S. 41, 152 
bis 156.— Rudloff, Mecklenb., I. S. 27 f. 70. 72 ff. 
) Bon ihm ist unter den Deutschen des Mittelalters die sonderbare Sage gegangen, 
sein Name und seine Anbetung rührten von dem, durch Karl den Gr. unter den Slawen 
eingeführten Heiligen Beit, etus Vitus, her!
	        
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