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fällt mit der Art, wie der Nationalitätengedanke verstanden wird.
Sklaven des Nationalitätsgedankens, die es vielleicht ad hoc ge-
worden sind, werden sich einreden, Nationalitäten zu befreien,
wenn sie diese Monarchie in ihre Bestandteile auflösen. Ganz ab-
gesehen davon, daß sie damit an der Existenzfrage dieser Macht
anrennen, würden sie dem europäischen Interesse hiedurch schlecht
dienen; denn die Gemeinschaft, in der hier Nationen zum Staat
verbunden leben, ist die beste und bei allen Schwierigkeiten einzig-
artige Schule nationaler Duldsamkeit, eine Schule, wie sie außer
in Oesterreich-Ungarn in der ganzen Welt nur noch in der Schweiz
zu finden ist. Mit Recht wurde einmal gesagt, die Schweiz und
Oesterreich-Ungarn erleben in ihren Nationalitätenstaaten die Zu-
kunft Europas, vielleicht sogar der ganzen Welt voraus.
Aber es besteht eine, durch den Verlauf des ganzen Krieges
sich immer mehr bestärkende Vermutung, daß im Sinne der Ziffer 1
der allgemeinen Ziele des Zehnverbandes der Appell an den Natio-
nalitätengedanken nur begriffen werden will als eine Folie, unter
der die Aufteilung Oesterreichs-Ungarns und der Türkei und die
Zerkleinerung Deutschlands und Bulgariens auf den grünen Tisch
der Verhandlungen aufgelegt werden sollen.
2. Herstellung des Rechtes aller Völker, der kleinen und der
großen.
Die Formel ist offenbar eine Umschreibung für Völkerrecht
und der Gedanke der Herstellung dieses Rechtes ist ohne Zweifel
groß und zeitgemäß. Die schweren Verletzungen, welche das
Völkerrecht in diesem Kriege erfuhr, bedürfen allerdings einer
Sühne und Heilung. Ob die Friedensverhandlungen von solchem
Geiste getragen sein werden, wie es unbedingte Voraussetzung für
ein fruchtbares Beginnen gerade in diesem schwersten und für
die weitere Zukunft wichtigsten Teile der Aufgabe ist, muß bisher
leider bezweifelt werden. Wir kennen zur Genüge die Verzeich-
nisse von Vorwürfen, welche in dieser Hinsicht die Gegner ein-
ander vorhalten und über die sie im Kriege selbst und mit den
Waffen niemals ins Reine kommen werden.