Full text: Handbuch des Staats- und Verwaltungs-Rechts für das Königreich Bayern. Band I. Das Deutsche Reich und das Königreich Bayern. (1)

94 § 35 a. Reichsverfassungsurkunde. I. Bundesgebiet. 
des Bundesgebietes 5) und des innerhalb desselben gültigen Rechtes 6), 
sowie zur Pflege der Wohlfahrt?) des deutschen Volkes. Dieser Bund 
wird den Namen „Deutsches Reich's) führen und wird nach- 
stehende 
Perfalssung 
haben: 
I. Bundesgebiet.)) 
Art. 1. 
Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten 2) Preußen mit 
Lauenburg, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklen- 
burg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, 
gesetz (efr. kgl. Deklaration, die deutschen Bündnisverträge betr., v. 30. Januar 
1871 Web. 8, 704 f.; Bamb. 11, 1 u. 2). 
Diese mehrgenannten Bündnisverträge sind daher nicht durch Erfüllung in 
Wegfall gekommen, sie bestehen vielmehr als Verträge, welche auf eine 
dauernde Leistung gerichtet sind, nach ihrem materiellen Inhalte — und 
zwar nunmehr in die Form des Verfassungsgesetzes gekleidet — so lange fort, 
bis sie wieder aufgelöst werden. Da aber nach der Verfassungsurkunde des 
deutschen Reiches ein „ewiger“ Bund geschlossen ist, so ist die Dauer desselben 
d. h. dieses Vertragsverhältnisses eine ewige, das Vertragsverhältnis also von 
den Kontrahenten selbst nicht einseitig auflösbar. Und hiemit stimmt vollständig 
die Auffassung überein, daß das deutsche Reich nur eine (— in stärkere kräftigere 
Form gefaßte —) Fortsetzung des früheren (1866 aufgelösten) deutschen Bundes 
sein soll, welcher Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung vom 1. April 1871 
mit den Worten Ausdruck verlieh: „Es ist also eine Fortdauer des Bun- 
desverhältnisses gedacht.“ Weiter ist von besonderer Bedeutung die 
Aeußerung Bismarcks im Reichstage über den Ausdruck „Bundesgebict“ in Art. 1 
der Reichs-Verf.: „Bei den Worten „Reichsgebiet" und „Bundesgebiet“ gebe ich 
gerne zu, daß der Unterschied sich nicht notwendig und scharf fühlbar macht. Es 
kommt aber auf den sprachlichen Begriff an, den man mit „Reich“ und „Gebiet“ 
verbindet. Wir haben geglaubt, daß auch da, weil die Souveränität, die 
Landeshoheit, die Territorialhoheit bei den einzelnen Staa- 
ten verblieben ist, bei Bezeichnung des Gesamtgebietes der Begriff des 
Bundesverhältnisses in den Vordergrund zu stellen sei.“ ckr. hieher: Seydel, 
Comm. S. 3 ff. und das oben in § 33 Gesagte. Dagegen Riedel, Comm. S. 5 
(nach Riedel ist das deutsche Reich ein Bundesstaat), ferner Zorn S. 2 (das 
deutsche Reich ist „der gesamtdeutsche Bundesstaat d. i. die staatliche Einheit von 
* dentschen Einzelstaaten"). — S. auch unten Anm. 80 zu Art. 41; ferner oben 
.79f. 
5) S. unten Anm. 9. 
6) Also auch des Verfassungsrechtes, demgemäß auch der durch die Ver- 
fassung gewährleisteten Existenz und Sonveränität eines jeden einzelnen Bundes- 
staates resp. seines Fürsten. 
!) Durch die im Rahmen des Art. 4 d. R.-V. erlassenen Gesetze, Verord- 
nungen u. getroffenen od. zu treffenden Einrichtungen. 
*) Die Bezeichnung „Deutsches Reich“ bedeutet keinen staatsrechtlichen 
Begriff, sondern wirklich nur einen Namen (cir. Anm. 9). 
*!) Dadurch, daß der Wortlaut gewählt ist, das Bundesgebiet besteht aus 
den „Staaten"“ Preußen 2c. rc. ist in glücklicher Weise das Bundesverhältnis 
als das völkerrechtliche Vertragsverhältnis zwischen selbständigen, souveränen 
„Staaten" zum Ausdruck gebracht. Die Reichs-Verf. spricht nicht von einem 
einheitlichen Reichsgebiet, von einem Staatsgebiet des Bundesstaates „Deutsches 
Reich“, sondern von einem Bundesgebiet, bestehend aus den vertragschließenden 
  
 
	        
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