Full text: Handbuch des Staats- und Verwaltungs-Rechts für das Königreich Bayern. Band I. Das Deutsche Reich und das Königreich Bayern. (1)

126 8 35a. Reichsverfassungsurkunde. XIV. Allgemeine Bestimmungen. 
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be— 
stimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Ge— 
samtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung 102) des berech- 
tigten Bundesstaates 102) abgeändert werden. 
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eine Aenderung (sei es Aufhebung, Einschränkung oder auch Erweiterung) erfahren 
sollen. Bezüglich aller dieser Abänderungen — sowohl derjenigen nach Abs. 1 
als der nach Abs. 2 des Art. 78 — gilt die Bestimmung, daß sie als abgelehnt 
zu betrachten sind, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben. Be- 
züglich der Abänderung von Sonderrechten gilt aber außerdem noch die 
spezielle Vorschrift des Abs. 2 I. c., daß dieselbe nur mit Zustimmung des 
berechtigten Bundesstaates erfolgen darf. (Aus dem Wort „berechtigt“ ist endlich 
noch ersichtlich, daß sich letzteren Falles diese Abänderungs-Absicht auf eine Auf- 
hebung oder Einschränkung des betr. Sonderrechtes beziehen muß.) 
Sind Sonderrechte nicht in die Reichsverfassung aufgenommen, so ist ihre 
etwaige Abänderung keine Aenderung der Verfassung, unterliegt daher solchen 
Falles der Bestimmung des Art. 78 Abs. I der Reichs-Verf. nicht, wohl aber ist 
zu ihrer Abänderung oder Beseitigung in gleicher Weise die Zustimmung des be- 
rechtigten Bundesstaates erforderlich in analoger Anwendung des Art. 78 Abs. II 
1. c. Es dürfte sich dies aus der Natur des Vertragsverhältnisses ergeben, auf 
Grund dessen diese Sonderrechte statuiert wurden und welches nur mit Zustimmung 
des Berechtigten eine Abänderung des diesbezüglichen Uebereinkommens und der durch 
letzteres gewährten Berechtigungen gestattet. Vergl. hiezu Pröbst 118, Anm. 3 
zu Art. 78 der Reichs-Verf.; ferner oben § 3 zu lb, S. 8 und Lab. 1, 106, 
Anm. 3. 
Die Entscheidung der Vor frage, ob eine Angelegenheit unter Art. 78 falle oder 
nicht, dürfte insoferne und insoweit in gleicher bezw. analoger Weise zu behandeln sein, 
als in dieser Entscheidung über die Vorfrage zugleich eine solche über die Angelegen- 
heit selbst im Ersolge gegeben wäre, also die Entscheidung dieser Vorfrage zugleich als 
ein wesentlicher Teil der Entscheidung in der Hauptfrage erscheint. Denn anderen 
Falles, d. h. wenn man eine solche Vorfrage stets und ausnahmslos lediglich als 
eine einfache „Frage der Geschäftsbehandlung“ betrachten und demgemäß durch 
einfachen Mehrheitsbeschluß erledigen würde, könnte die Bestimmung des Art. 78 
vielfach umgangen und speziell Abs. II desselben für die Berechtigten illusorisch 
gemacht werden, sicherlich jedenfalls dann, wenn die Vorfrage, ob Verfassungs- 
änderung 2c. vorliege, verneint und demgemäß die Beobachtung der Cautelen des 
Art. 78 bei der Beschlußfassung über die Sache selbst in Wegfall kommen würde. 
Vergl. hiezu Pröbst S. 118 Anm. 2 zu Art. 78 und S. 55 Anm. 7 zu 
Art. 7. 
102) Diese Zustimmung wird ausschließlich nur im Bundesrate von dem 
Vertreter des betr. Staates, d. h. dem Vertreter des Landesfürsten dieses Staates 
als des Inhabers aller Rechte der Staatsgewalt erteilt. Da dieser Vertreter den 
Fürsten des betr. Landes in der gemeinsamen Ausübung der Landeshoheitsrechte 
im Bundesrate vertritt, so ist er auch nur an die Instruktion dieses Fürsten ge- 
bunden und nur ihm verantwortlich. Einer Genehmigung dieser von dem Landes- 
fürsten an den Vertreter erteilten Instruktion seitens des Landtages bedarf es in 
Bayern nicht, jedoch ist hiezu nach Art. IV des Ministerverantwortlichkeits-Gesetzes 
vom 4. Juni 1848 (Web. 3, 690) die Gegenzeichnung des betr. Ministers er- 
forderlich. S. oben S. 84 f. und S. 86. 
Dabei ist zu betonen, daß der Art. 78 der Reichs-Verf. von Aenderungen 
der Verfassung des Reiches (nicht der einzelnen Bundesstaaten) spricht und daß, 
wenn nach Vorschrift des Art. 78 Abs. 1 hiezu der Weg der Gesetzge bung 
einzuschlagen ist, diese letztere nur die Reichsgesetzgebung sein kann. Die Gesetz- 
gebung des Reiches wird aber nicht durch die Gesetzgebungsfaktoren der Einzel-
	        
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