Full text: Handbuch des Staats- und Verwaltungs-Rechts für das Königreich Bayern. Band I. Das Deutsche Reich und das Königreich Bayern. (1)

178 § 45. Wirkungen d. Staatsangehörigkeit. Staatsbürgerrecht. Staatsbürgereid. 
Nach der Verfassungsurkunde (§ 9 Beil. I) war das Staats- 
bürgerrecht ein „politischer Stand“", welcher die verfassungsmäßige 
Teilnahme an der Ständeversammlung gewährte. 
Das Wahlrecht und die Wählbarkeit zum Landtage richtet sich 
jetzt aber nach dem Landtagswahlgesetz vom 4. Juni 1848 bezw. 
21. März 1881 (Web. 14, 732 bezw. 738 ff.0. 
Der „olitische Stand“ des Staatsbürgerrechtes hat daher 
wohl jede Bedeutung verloren. 
Nach dem heutigen Stande der Gesetzgebung gehört zum Er- 
werbe und zur Ausübung des bayerischen Staatsbürgerrechtes: 
1) Männliches Geschlecht. 
2) Der Besitz des bayerischen Indigenates. 
3) Das vollendete 21. Lebensjahr. 
4) Wirtschaftliche Selbständigkeit bezw. Wohnsitz im Königreiche 
mit selbständigem Haushalt, ferner 
5) Der Besitz besteuerter Gründe oder Renten oder der Betrieb 
eines bestenerten Gewerbes oder Eintritt in ein öffeut- 
liches Amt. 
6) Für Neueinwandernde, d. h. seitherige Nicht-Reichs- 
angehörige, welche die bayerische Staatsangehörigkeit (Indi- 
genat) erworben haben, nach § 8 Beil. I (Indigenatsedikt) 
außerdem noch ein vorgängiger sechsjähriger Aufenthalt in 
Bayern. 25) 
Das bayerische Staatsbürgerrecht begreift nun folgende besondere 
Berechtigungen und bezw. Fähigkeiten in sich: 
1) zur Erlangung der erblichen Reichsratswürde § 3 Tit. VI 
der Verf.-Urk.; 
2) zur Berufung als Bevollmächtigter eines höchstbesteuerten 
Grundbesitzers im Distriktsrate (Gesetz über die Distrikts- 
Räte vom 28. Mai 1852 Art. 2 lit. b und 4 Abf. III); 
3) zur — aktiven und passiven — Berufung zum Vertreter des 
Großgrundbesitzes im Landrate (Gesetz über die Landräte 
vom 28. Mai 1852 Art. 2 lit. c und 8 Abs. 2).27) 
0) Ausdrücklich muß hieher betont werden, daß die von der Verfassungs- 
Urkunde (Tit. IV § 3 und Beil. 1 § 8) zum Staatsbürgerrecht erforderliche „An- 
sässigkeit" nur den thatsächlichen Zustand der wirtschaftlichen Selbständigkeit und 
der Angesessenheit bezeichnet und durchaus nichts mit der „Ansässigkeit in einer 
Gemeinde“ nach dem Ansässigmachungsgesetz von 1825 bezw. 1834 zu thun hat. 
Siehe hiezu auch Bl. f. adm. Pr. 21, 154. 
*.) Vergl. hiezu auch noch Ziff. II des Schlußprotokolls zum Versailler 
Vertrag vom 23. November 1870. 
Speziell wird hier noch bemerkt, daß die Ausübung des Wahlrechtes zum 
bayerischen Landtage — weder aktiv noch passiv — vom Besitze des Staatsbürger- 
rechtes abhängt. Die Leistung des sog. Staatsbürgereides ist kein Erfordernis zur 
Erlangung des Staatsbürgerrechtes: derselbe wird nur gefordert zur Ausübung 
des Wahlrechtes zum bayerischen Landtag, ferner — abgesehen von dem oben er- 
örterten Erwerb einer selbständigen Heimat — beim Eintritt in ein öffentliches Amt.
	        
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