Full text: Handbuch des Staats- und Verwaltungs-Rechts für das Königreich Bayern. Band I. Das Deutsche Reich und das Königreich Bayern. (1)

§ 90. Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern. Tit. VII. 495 
8s6) Das Mitwirkungsrecht des Landtages bei der Gesetzgebung beschränkt 
sich auf den Erlaß von Gesetzen, andrerseits aber erstreckt es sich auf alle 
Gesetze, also sowohl auf die Verfassungs= als auf die einfachen, auf die materiellen 
wie auf die blos formellen Gesetze; in letzterer Beziehung insoferne, als eine Vor- 
schrift, welche einmal in der Form eines Gesetzes erlassen ist, auch nur mit 
Zustimmung des Landtages aufgehoben, verändert oder authentisch interpretiert 
werden kann. Jede Rechtsnorm, welche für alle Verhältnisse (oder Personen), auf 
welche sein Thatbestand bezw. seine einzelnen Merkmale oder Momente zutreffen, 
ohne Unterschied Anwendung zu finden hat, ist eine allgemeine. Solche all- 
gemeine Rechtsvorschriften, welche an die Unterthanen gerichtet sind und welche 
„die Freiheit der Person oder das Eigentum der Staatsangehörigen betreffen“, 
müssen in der Form des Gesetzes, also unter dem Beirat und der Zustimmung 
des Landtages, erlassen werden. In der Form der Verordnung können solche 
materielle Rechtsvorschriften nur dann ergehen, wenn die Befugnis hiezu, sei es 
für die Krone oder für eine Staatsbehörde, in einem Gesetze ausgesprochen ist. 
Da aber andrerseits nur für die Erlassung von Gesetzen die Mitwirkung 
des Landtages verfassungsmäßig verlangt ist, bleibt der König — abgesehen vom 
Steuerbewilligungsrecht — bezüglich seiner Regierungsthätigkeit im übrigen völlig 
unbeschränkt. Das Recht, Verordnungen zu erlassen, steht ihm daher in der Regel 
in voller und uneingeschränkter Ausdehnung zu; ebenso ist das sog. Organisations- 
recht, d. h. die Befugnis, Staatsämter und Behörden einzurichten und mit dem 
Nötigen auszustatten, ein ausschließliches Recht der Krone — natürlich innerhalb 
der Grenze der verfassungsmäßig zu Gebote stehenden Mittel. Doch kann auch 
— wie überhaupt für jede Angelegenheit, für deren Regelung die Form des Ge- 
setzes gleichfalls nicht vorgeschrieben ist, — für die Schaffung oder Einrichtung 
einer Behörde die Form des Gesetzes gewählt werden. Solchen Falles tritt ein, 
was oben schon erwähnt wurde: daß nämlich auch für ein solches blos formelles 
Gesetz bezüglich seiner Aufhebung oder Aenderung rc. die Mitwirkung des Land- 
tages gefordert ist. 
Aber auch Bestimmungen, welche für einzelne Personen oder für ein- 
zelne Sachen eine Ausnahme von einem allgemeinen Gesetze oder vom allge- 
meinen Rechte statuieren, z. B. sog. Privilegien, bedürfen der Gesetzes form dann, 
wenn diese Ausnahme eine solche von einer gesetzlichen Bestimmung ist. Wird 
dagegen solchen Falles im Gesetze selbst dem Könige oder einer Behörde das 
Recht eingeräumt, derartige Ausnahmen für gewisse Kreise von Personen, Sachen 
oder Verhältnissen zu statuieren, so tritt insoweit das Verordnungsrecht in Kraft 
bezw. ist die Regelung durch Verordnung zulässig. · 
Im übrigen werden durch Verordnung (oder Entschließungen) in der Regel 
nur Anordnungen auf dem Gebiete der aktiven Verwaltung oder zur Ausübung 
der eigentlichen Regierungsthätigkeit oder zum Vollzuge von Gesetzen getroffen. 
Vergl. hiezu auch das oben in § 26 Gesagte. 
Speziell über Verfassungsgesetze, dann Erfordernisse und Behandlung 2c. s. 
unten bei Tit. X § 7 der Verf.-Urk. 
Was endlich die vor Erlaß der Verfassungsurkunde schon vorhanden ge- 
wesenen gesetzlichen Bestimmungen anbelangt, so muß bei Beurteilung der Frage, 
ob die Mitwirkung des Landtages bei Aufhebung oder Veränderung derselben ge- 
geben sei, nicht auf die Bezeichnung dieser Bestimmungen als Gesetz oder Edikt 
oder Verordnung 2c. — bezw. nicht auf die Form ihres Erlasses, da eine solche 
nicht bestimmt vorgeschrieben war, — gesehen werden, sondern auf ihren Inhalt. 
Ist derselbe derart, daß er nunmehr nur durch Gesetz unter Mitwirkung der 
Kammern nach § 2 Tit. VII behandelt werden kann, so muß diese Form des 
Gesetzes auch bezüglich einer allenfallsigen Aenderung bezw. Aufhebung der betr. 
vor der Verfassung schon vorhandenen Bestimmungen beobachtet werden. 
Ueber weitere Rechte des Landtages — außer dem der Mitwirkung bei 
der Gesetzgebung — s. unter Aum. 59, 60, 64, 65 a. E., 69, 72, 73, 74, auch 
75 und 76 zu den §8§ 3 ff., 10, 11 ff., 17 ff. des Tit. WII. 
 
	        
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