8 90a. Die Beilagen zur Verfassungsurkunde. 2. Beilage. 545
in ihrem eigentlichen Wirkungskreise nie gehemmt werden, und die könig-
liche weltliche Regierung in rein geistliche Gegenstände des Gewissens und
der Religionslehre sich nicht einmischen solle, als insoweit das königliche
oberste Schutz= oder Aufsichtsrecht dabei eintritt. Die königlichen Landes-
stellen werden wiederholt zur genauen Befolgung derselben angewiesen.
8§ 51. So lange demnach die Kirchen -Gewalt die Grenzen ihres
eigentlichen Wirkungskreises nicht überschreitet, kann dieselbe gegen jede
Verletzung ihrer Rechte und Gesetze den Schutz der Staatsgewalt anrufen,
der ihr von den königlichen einschlägigen Landesstellen nicht versagt
werden darf. 5)
§ 52. Es steht aber auch den Genossen einer Kirchengesellschaft,
welche durch Handlungen der geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte
Ordnungsy) beschwert werden, die Befugnis zu, dagegen den königlichen
landesfürstlichen Schutz anzurufen.
§ 53. Ein solcher Rekurs gegen einen Mißbrauch der geistlichen
Gewalt kann entweder bei der einschlägigen Regierungs-Behörde, welche
darüber alsbald Bericht an das königliche Staatsministerium des Innern
zu erstatten hat, oder bei Seiner Majestät dem Könige unmittelbar an-
gebracht werden.97)
§ 54. Die angebrachten Beschwerden wird das königliche Staats-
ministerium des Innern 0) untersuchen lassen, und, eilige Fälle ausge-
nommen, nur nach Vernehmung der betreffenden geistlichen Behörde, das
Geeignete darauf verfügen.
" 55. Der Regent kann bei feierlichen Anlässen in den verschie-
denen Kirchen Seines Staates durch die geistlichen Behörden öffentliche
Gebete und Dankfeste anordnen. #1)
Dagegen behandelt § 52 I. c. das Recht auf den staatlichen Schutz, welchen
die einzelnen Mitglieder der verschiedenen Kirchengesellschaften anrufen können,
wenn sie durch die geistliche Gewalt, bezw. durch allgemeine oder spezielle An-
ordnungen, Verfügungen oder sonstige Handlungen derselben, welche der im Staate
giltigen Rechtsordnung oder auch der zu Recht bestehenden Ordnung der inneren
Angelegenheiten der betr. Kirchengesellschaft widersprechen, beschwert werden. (Schutz
gegen die geistliche Gewalt oder recursus ab abusu.) Diesen Schutz gewährt
die Staatsregierung, indem diesbezügliche Beschwerden in der Regel durch das
kgl. Staatsministerium des Innern für Kirchen= und Schulangelegenheiten verbe-
schieden werden. (Vergl. hiezu 8 53 l. c.)
s64) Vergl. hiezu bayer. Gemeindezeitung 2. Jahrg. 1892 S. 223/224,
S. 260 und 344 f. „Ausübung der Hausordnung in Kirchen und bei Gottes-
diensten“.
s5) Unter „festgesetzte Ordnung“" sind einerseits diejenigen Rechtsnormen zu
verstehen, welche allgemein für jeden bindend im Staate sind, andrerseits auch
die für die betr. Kirchengesellschaft und ihre Mitglieder speziell gegebenen rechts-
giltigen Anordnungen oder Vorschriften und in letzterer Beziehung insbesondere
auch diejenigen, welche die inneren — sowohl rein geistlichen als gesellschaftlichen —
Angelegenheiten der betr. Religionsgenossenschaft ordnen.
80*) Diese Beschwerden sind entweder bei den kgl. Kreisregierungen, K. d.
J., oder beim kgl. Kultusministerium oder auch direkt beim Könige anzubringen.
"0) Jetzt das kgl. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten.
*!) Vergl. Anm. 76, ferner Art. XII lit. g des Konkordats.
Pohl, Handbuch. I. 35