68 827. Besondere Bestimmungen d. Reichs-Verf. über d. Reichsgesetzgebung.
geübt durch den Bundestag und den Reichstag" und zwar in der
Art, daß die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse bei der Ver-
sammlungen zu einem Reichsgesetze, d. h. zur Feststellung seines In-
haltes einerseits erforderlich, andrerseits aber auch ausreichend
ist. An dieser gesetzgebenden Gewalt hat der Kaiser keinen An-
teil, die Stimme des Präsidiums in Abs. 2 des Art. 5 der Reichs-
Verf. ist nicht die des Kaisers, sondern diejenige des preußischen
Staates bezw. des Königs von Preußen, welch Letzterem nach Art. 11
der Reichs-Verf. das Präsidium des Bundes zusteht. Damit nun
aber das vom Reichstage und Bundesrate inhaltlich festgestellte und
bezw. sanktionierte Reichsgesetz als solches rechtsverbindliche Kraft er-
halte, muß seitens des Kaisers „die Ausfertigung“ und hierauf die
Verkündigung nach Art. 17 der Reichs-Verf. erfolgen. In der Aus-
fertigung liegt der definitive Ausspruch des Kaisers, daß das be-
treffende Gesetz nach Maßgabe des Inhaltes der Reichs-Verf. zu
Stande gekommen sei, 2) weshalb nunmehr auch die Verkündigung,
d. h. der kaiserliche Befehl ergeht, daß dieses Gesetz als solches be-
folgt und beachtet werde.
Formell wird die Publikation gemäß Art. 2 der Reichs-Verf.
dadurch vollzogen, daß das Gesetz mit der Fertigung des Kaisers und
mit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers im Reichs-Ges.-Bl. ver-
öffentlicht wird, worauf dann das publizierte Gesetz verbindliche Kraft
erhält mit dem 14. Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an welchem
das betreffende Stück des Reichs-Ges.-Bl. in Berlin ausgegeben worden
ist, soferne nicht ausnahmsweise das Gesetz selbst einen anderen An-
fangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt. Im Reichs-Ges.-Bl.
müssen daher alle Reichsgesetze Aufnahme finden.
Aus dem Wortlaute des Art. 2 l. c. heraus beantwortet sich
auch die Frage über die Priorität eines Gesetzes. Für dieselbe ist
die formelle Rechtskraft entscheidend: d. h. dasjenige Gesetz, welches
später verkündigt wird, hebt gegebenen Falles das früher ver-
kündigte auf und zwar auch dann, wenn das früher verkündigte
erst später in Kraft tritt, als das später verkündigte. Was nun
weiter die Competenz der Reichsgesetzgebung anbelangt, so sind im
Art. 4 der Reichs-Verf. — abgesehen von den Bestimmungen in Art. 3
Abs. 5, 11 Abs. 3, 35, 41, (45), 52, (54 Abs. 2), 68, 69, 75 Abs. 2, 76
Abs. 2 und 78 derselben — die Angelegenheiten aufgeführt, welche
(der Beaufsichtigung des Reiches und) der Gesetzgebung desselben
unterliegen.
*!) Daher kann es auch gegenüber einem vom Kaiser ausgefertigten Gesetze
keine Frage mehr über die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes geben. Es ist
daher auch einem Reichsgesetze gegenüber, welches die Ausfertigung des Kaisers
trägt, das richterliche Prüfungsrecht bezüglich dieser Verfassungsmäßigkeit resp.
des verfassungsmäßigen Zustandegekommenseins ausgeschlossen (efr. Entscheid. des
Reichsgerichts in Civilsachen, Bd. IX, 235 ff. und Laband 1, 532).